Eine in der Februar 2018-Ausgabe von Science and Public Policy veröffentlichte Studie mit dem Titel „European Paradox or Delusion-Are European Science and Economy Outdated? gibt Anlass zu Bedenken. Darin heißt es, dass das Wissenschafts- und Technologieproblem der Europäischen Union (EU) nicht darauf zurückzuführen ist, dass die europäische Industrie das, was als europäische Spitzenwissenschaft gilt, ineffizient nutzt, sondern dass „Europa bei der Produktion wichtiger, viel zitierter Forschung weit hinter den USA zurückbleibt“. Die Autoren, Alonso Rodríguez-Navarro und Francis Narin, sind der Ansicht, dass es „eine konsequente Schwächung der europäischen Wissenschaft gibt, wenn man die Zitierrangliste“ wissenschaftlicher Artikel hochklettert, während die USA eine höhere Anzahl an hoch zitierten wissenschaftliche Arbeiten produzieren und mehr Nobelpreise erhalten.
Laut den Autoren „ist die Zahl der wichtigen Entdeckungen pro Einwohner in den USA mindestens dreimal so hoch wie in der EU“. Die Autoren geben der fehlgeleiteten Forschungs- und Förderpolitik die Schuld. Da bin ich anderer Meinung. Der von den Autoren beobachtete Trend ist in der Tat schon seit langem vorhanden und hat sich seit den 90er Jahren nicht verschlechtert, während sich die europäische Forschungs- und Förderpolitik meiner Meinung nach sogar verbessert hat. Lohnt es sich also zu bedenken, dass Europa unter einem allgemeineren kulturellen Problem leidet?
Ein Aspekt dieses Problems kann als „Postmoderne“ bezeichnet werden. Diese Weltanschauung wird von der sogenannten „westlichen Schuld“ über historische Ereignisse, ob real oder imaginär, geleitet. Die Postmoderne ist auch in Nordamerika vertreten und drückt sich unter anderem als eine verschärfte Form der „politischen Korrektheit“ aus (die sich nun auch auf Europa ausbreitet). Anders als in den USA hat die Postmoderne jedoch die Wissenschaft und Technologie in der EU stark beeinträchtigt, was durch das „Vorsorgeprinzip“ (VP) verdeutlicht werden kann. Das Problem besteht natürlich nicht darin, dass die politischen Instanzen vernünftige Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürger ergreifen. Das Problem ist, dass das VP in der Regel nicht richtig verstanden wird und von der Politikern oft dazu benutzt wird, extreme Maßnahmen wie wissenschaftlich ungerechtfertigte Verbote zu fördern, um zu vermeiden, dass sie in den Medien und Social Media als lax und fahrlässig kritisiert wird.
Um zu verstehen, wie sich die postmoderne Ideologie auf Wissenschaft und Technologie auswirkt, ist es notwendig, sie näher zu erläutern. Die Postmoderne kann als allgemeine Kritik an westlichen Institutionen (z.B. an den Nationalstaaten, die für die Weltkriege verantwortlich sind) und an der kulturellen Identität (die als imperialistisch und unterdrückerisch angesehen wird) definiert werden. Die Postmoderne tendiert auch dazu, die Werte der Aufklärung (d.h. den Glauben an den menschlichen Fortschritt und die Universalität der Wahrheit) abzulehnen. Angewandt auf die Wissenschaft (http://embor.embopress.org/content/13/10/885) bedeutet dies, dass letztere auch eine Kraft der Herrschaft und sogar der Unterdrückung ist. Eine offensichtliche Konsequenz einer solchen Ideologie ist, dass die Wissenschaft als zu riskant gilt und deshalb nicht den Wissenschaftlern überlassen werden kann, sondern von „Bürgern“ oder ihren Vertretern kontrolliert werden muss.
Es ist natürlich legitim, dass aus politischen Gründen einige wissenschaftliche Projekte stärker gefördert werden als andere. Das Problem entsteht, wenn das Thema „Risiken“ in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung gerückt wird, während der Nutzen ignoriert wird. Ab den 60er Jahren, und zunehmend seit Ende der 80er Jahre, ist die Vermeidung aller Risiken um jeden Preis zum Mainstream-Denken in Europa geworden. Europa sollte wirklich die Risiken für die Innovation, aber auch für die Wissenschaft und sogar für die Zivilisation dieser postmodernen Risikobesessenheit, in Betracht ziehen.
Das Problem ist umso gravierender, da die Postmoderne auch die Universalität der Wahrheit dekonstruiert hat. Als Beispiel für eine verfehlte Demokratie sollte jeder Mensch in der postmodernen Welt Anspruch auf seine eigene „Wahrheit“ haben. Wissenschaft wird nach Ansicht postmoderner Soziologen wie jede andere Meinung als Meinung betrachtet….
Europa steht nun vor der Wahl: Entweder bleibt es eine „Risikogesellschaft“ oder es wird zu einer echten „Wissensgesellschaft“. Es handelt sich hier um eine schwierige Entscheidung, da sie die Abkehr von einer Form des Rechtsdenkens impliziert, die imperialistisch und sogar unterdrückerisch geworden ist….
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