Viele haben damit gerechnet, dass der diesjährige Nobelpreis für Medizin nach Deutschland gehen würde. Die Biontech-Günder Ugur Sahin und Özlem Türeci hatten schließlich so schnell wie kaum ein Zweiter einen Impfstoff gegen COVID-19 auf die Beine gestellt. Für das Nobel-Komitee aus Stockholm standen allerdings andere Wissenschaftler 2021 an vorderster Stelle: David Julius und Ardem Patapoutian haben mit ihrer Forschung zum Tastsinn nicht weniger als ein jahrhundertealtes Rätsel gelöst.
Wie unsere Nerven äußere Reize verarbeiten
Die neuen Nobelpreisträger wurden für ihre Errungenschaften in der Physiologie ausgezeichnet. Es handelt sich hierbei um Grundlagenforschung zum Tastsinn, die unser Verständnis vom Körper, genauer gesagt von den Nerven, deutlich erweitert. Die Forscher konnten demnach nachweisen, wie Nerven äußere Reize in elektrische Impulse umwandeln, die vom Gehirn verarbeitet werden können. Jahrhundertelang überlegte die Menschheit zuvor, wie dieser Prozess funktionieren könne.
BREAKING NEWS:
The 2021 #NobelPrize in Physiology or Medicine has been awarded jointly to David Julius and Ardem Patapoutian “for their discoveries of receptors for temperature and touch.” pic.twitter.com/gB2eL37IV7— The Nobel Prize (@NobelPrize) October 4, 2021
https://platform.twitter.com/widgets.js
Bereits in den Neunzigerjahren experimentierte Julius, Geburtsjahr 1955, erstmalig mit Capsaicin, einer Substanz, die in Chilischoten vorkommt. So konnte er einen Rezeptor in der Haut nachweisen, der als TRPV1 bekanntwurde. Dieser leitet dem Körper ein Signal für schmerzhafte Hitze weiter. Der US-Amerikaner musste mit seinem Team Millionen von Gene untersuchen und in Zellen kultivieren, um herauszufinden, welches dieser Gene auf die Substanz reagieren würde.
Patapoutian, der im Jahr 1967 im Libannon geboren wurde, führte die Forschung an den Zellen dann im Jahr 2010 zu einem weiteren ansehnlichen Erfolg. So konnte er nachweisen, wie zuvor unbekannte druckempfindliche Zellen spezielle Sensoren nutzen, die auf mechanische Reize reagieren. Diese sogenannten Piezo-Kanäle existieren in der Haut und in inneren Organen. Auch Patapoutian musste ein exaktes Gen identifizieren. Im Gegensatz zu Julius schaltete er die Gene in den untersuchten Zellen nach und nach aus.
Erste Erklärungsversuche gab es bereits im 17. Jahrhundert
Die Wissenschaftler beantworteten so wesentliche Fragen, die bereits vom französischen Philosophen René Descartes im 17. Jahrhundert gestellt wurden. Zu seiner Zeit vermutete dieser, dass Fäden in der Haut die Körperteile mit dem Nervensystem verbinden müssten. Auf diese Weise hätten die Informationen ihren Weg von den Gliedmaßen direkt zum Gehirn finden können.
Im Jahr 1944 gab es dann schon einmal einen Nobelpreis für die Physiologie da die US-Amerikaner Joseph Erlanger und Herbert Gasser tatsächlich nachweisen konnten, dass solche sensorischen Nervenfasern in verschiedenen Arten existierten und auf äußere Reize reagierten. Es sollte allerdings noch einige Jahre dauern, bis David Julius und Ardem Patapoutian genau erklären konnten, wie diese Reizaufnahme vonstattengeht.
Mittlerweile konnten weitere Studien neue Rezeptoren identifizieren, die an unterschiedlichen Prozessen im Körper zum Einsatz kommen. Der Rezeptor für Kälte, den sowohl Julius als auch Patapoutian, dank seiner Wirkung auf Menthol, unabhängig voneinander nachweisen konnten, ist mittlerweile unter dem Namen TRPM8 in der Medizin bekannt. Die Grundlagenforschung soll in Zukunft dabei helfen, neue Behandlungen für Schmerzen, Bluthochdruck, Atemprobleme und Wasserlassen zu entwickeln.
Image by Isaac Fryxelius from Pixabay