Dieses Jahr wird der 150. Geburtstag von Maria Curie gefeiert. Was könnte ein besseres Symbol für die Europäische Wissenschaft sein? Eine führende europäische Wissenschaftlerin, geboren in Polen und begraben im Pantheon in Paris, dem Ruheplatz der Nationalhelden, gepriesen von französischen und polnischen Wissenschaftlern… Und das gerade zu einem Zeitpunkt, an dem die beiden Länder eine gewisse Kühle in den diplomatischen Beziehungen erleben – ein Beweis, dass die universelle Natur der Wissenschaft große Geister auch über Grenzen hinweg vereinen kann. Aber wenn Politiker die Kontrolle über die Wissenschaft übernehmen, ist das Ergebnis oft ein Zerbrechen dieser Einheit. Die europäische Debatte über Glyphosat hat dies unlängst anschaulich gezeigt und der US-Rückzug aus dem Pariser Abkommen ist nur ein weiteres Beispiel dafür.
Seit Popper und Kuhn wissen wir, dass die Wissenschaft sich nicht an einen einheitlichen Weg „des linearen Fortschritts mit plötzlichen Sprüngen nach vorne“ hält und noch viel weniger an offizielle, staatlich gelenkte Wahrheiten. Popper hat uns gelehrt, dass eine wissenschaftliche Hypothese falsifizierbar ist; Kuhn argumentierte, dass es Revolutionen gibt, die wissenschaftliche Paradigmen über den Haufen werfen können, die seit Jahrhunderten geglaubt wurden.
In der Vergangenheit fanden diese Debatten hinter den verschlossenen Türen von Labors statt. Heutzutage werden sie live und direkt auf Twitter verbreitet. Wissenschaftler müssen nicht mehr nur ihre Arbeit innerhalb der wissenschaftlichen Kreise erörtern. Sie müssen auch die Spreu vom Weizen trennen und die öffentliche Debatte nutzen, um die Pseudo-Wissenschaft zu entlarven.
Was wir erleben, ist eine andauernde, permanente und sehr öffentliche Diskussion. Die Wissenschaft ist von ihrem Elfenbeinturm herabgestiegen und jeder Laborleiter muss sich den Fragen einer Gesellschaft stellen, die zunehmend alles bezweifelt. Das betrifft nicht nur die potentielle Schädlichkeit von Wellen, von lebenden Produkten der Biotechnologie, von Impfstoffen oder künstlicher Intelligenz …, sondern auch die Zuverlässigkeit von Studien, die uns präsentiert werden, die Strenge des Gesetzgebungsprozesses und die Eigeninteressen der involvierten Personen. In all diesen Bereichen muss die Wissenschaft Gerüchte bekämpfen, „Fake News“ entlarven und die eigenen, unfehlbaren Referenzen zeigen – denn der weiße Laborkittel ist befleckt mit Misstrauen. Und da es für die Wissenschaft kein Entrinnen vor dem Trend zur „Partizipation“ gibt, seit das Französische Parlament Bürgerkonferenzen organisiert, ist es langsam zur Realität geworden, dass eine wissenschaftliche Arbeit von 280 Seiten nicht mehr Gewicht hat als ein Tweet von 280 Zeichen, wenn es darum geht, einen Umschwung in der öffentlichen Meinung zu erreichen. Wissenschaftliche Vernunft wird von allen Seiten angegriffen. Soziale Netzwerke sind zu Echokammern des Irrationalen geworden, wobei – welch zynisches Paradoxon – die wirksamen, mit wissenschaftlichen Methoden entwickelten Algorithmen genutzt werden, um Meinungen zu befördern, die darauf aus sind, eben diese Wissenschaft zu zerstören. Aber es wäre falsch, alles der “Facebook Wissenschaft” in die Schuhe zu schieben, wie dies manche tun. Soziale Netze haben die Stimme des „Whistleblowers“ hörbarer gemacht, aber die anti-wissenschaftlichen Ideologien waren schon immer dort draußen, schlafend, bevor wir gelernt haben, sie zu nutzen.
In dem Buch “La Querelle des OGM” [GMO Kontroversen] (herausgegeben durch PUF 2006) basiert eine der Hauptannahmen des Werkes auf der Unterscheidung zwischen Kontroverse und Polemik. Kontroversen betreffen Meinungsunterschiede innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde bei der Interpretation von Tatsachen. Dagegen beinhaltet Polemik persönliche Attacken, die von zwei gegnerischen Lagern ausgehen, welche nicht derselben Ideologie anhängen. Wissenschaftler, die ihre Thesen in den Medien verteidigen, bevor sie sie ihren Kollegen präsentieren, haben die Büchse der Pandora geöffnet und die derzeitige Situation ermöglicht, bei der die Wissenschaft einem scharfen, kalten Wind der Kritik von allen Seiten ausgesetzt ist.
Dazu kommt die erzwungene Inkludierung des Vorsichtsprinzips in der wissenschaftlichen Debatte. Wie von der Französischen Verfassung vorgeschrieben, müssen Wissenschaftler nun Fragen beantworten, für die es keine wissenschaftliche Antwort gibt (zum Beispiel bei der Abwesenheit von Risiken). Und so wie die Natur das Vakuum verabscheut, ist die Ideologie eingesprungen, wo die Wissenschaft keine Antworten hatte.
Indem die Grundlagen selber in Frage gestellt werden, befindet sich die wissenschaftliche Gemeinde mitten in einer Umorganisation und versucht, neue Lösungen zu finden, um die heutigen Herausforderungen zu meistern und bessere Antworten auf die gestellten Fragen zu finden. Während die Populärwissenschaft nichts Neues ist und auch über genügend Ressourcen verfügt, ist das Engagement der wissenschaftlichen Gemeinde in der politischen Debatte immer noch zurückhaltend. Dies ist aber essentiell, heute mehr denn je, weil es von größter Wichtigkeit ist, dass sich Wissenschaftler auch selbst stark machen.
Seit mehr als 10 Jahren habe ich jetzt die Meinungen der wissenschaftlichen Gemeinde in den Medien gefördert. Also warum nicht einen Raum schaffen, der vollkommen dieser Debatte gewidmet ist? Er sollte die Öffentlichkeit mit populären wissenschaftlichen Berichten informieren und eine Plattform für europäische Wissenschaftler bilden, die über Wissenschaftspolitik reden und sich mit dieser beschäftigen möchten – auf Englisch, Deutsch und Französisch zu Anfang, und später auch in anderen europäischen Sprachen. Die Bühne ist frei für Debatten: Sie werden hier manchmal sich wiedersprechende Meinungen finden, um Zugang zu den Argumenten aller Seiten zu haben. Bitte tragen Sie bei und senden Sie Ihre Gedanken ein.
This post is also available in: EN (EN)FR (FR)