Deutschland hat gewählt. Die ersten Hochrechnungen sind aufgestellt, die Stimmauszählung dürfte noch in die frühen Morgenstunden gehen. Warum sich die Bürger der Bundesrepublik für oder gegen bestimmte Parteien entschieden haben, lag in diesem Jahr wohl stärker als sonst auch an den Kandidaten. Laut einer Analyse der Stuttgarter Universität Hohenheim waren die Wahlprogramme zur Bundestagswahl so umfangreich wie nie zuvor. Dies führte auch dazu, dass es für den einfachen Bürger deutlich schwieriger war als sonst, die Inhalte zu verstehen.
Komplizierte Wahlprogramme mit Sätzen aus teils 79 Wörtern
Im Zuge ihrer Untersuchung hatten die Wissenschaftler die Wahlprogramme der angetretenen Parteien zurückverfolgt und mit den Bundestags-Programmen seit dem Jahr 1949 verglichen. So fand das Team heraus, dass ein Trend zu einer außerordentlichen Verschachtelung der Sätze festzustellen ist. Bis zu 79 Wörter wurden so gerne mal aneinandergereiht. „Oft lässt die Verständlichkeit der Wahlprogramme zu wünschen übrig“, so Kommunikationsforscher Frank Brettschneider gegenüber dem MDR. „Die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeitsregeln seien Fremdwörter und Fachwörter, Wortzusammensetzungen, Anglizismen und „Denglisch“ sowie lange „Monster- und Bandwurmsätze“.
In der Geschichte der Bundestagswahl wurde die Wahl 2021 somit zu einer der kompliziertesten überhaupt, zumindest wenn man sich an der Verständlichkeit der Wahlprogramme orientiert. Nur im Jahr 1994 war die Lektüre der Programme noch schwieriger.
Linke mit längstem Wahlprogramm, SPD & AFD mit kürzestem
Doch nicht nur die sprachlichen Formulierungen wären für die Leser eine Herausforderung, sondern auch die Länge der ausgearbeiteten Programme. Ganze 43.541 Wörter enthielt ein Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 im Durchschnitt. Im schicksalsträchtigen Jahr 1949 musste man sich gerade einmal durch durchschnittlich 5.498 Wörter lesen und damals ging es um nichts Geringeres als den Wiederaufbau der Bundesrepublik. Das ist gerade mal ein Achtel der Wortzahl moderner Programme.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist noch nicht ganz klar, ob die Linkspartei auch weiterhin im Bundesparlament vertreten sein wird. Sie wurde von der Wählerschaft teils heftig abgestraft, was womöglich auch auf die Länge ihres Wahlprogramms zurückzuführen sein könnte. 2021 musste man sich durch 68.331 Wörter lesen, jedoch war das Programm das verständlichste unter allen Parteien. Dass man auch mit langen Konzepten Erfolg haben kann, beweisen die Grünen, die aller Voraussicht nach die drittgrößte Kraft im Parlament stellen werden. Sie schrieben etwa 1000 Wörter weniger auf als die Linke, jedoch lag die Verständlichkeit so niedrig wie bei keiner anderen Partei. Die SPD stellte mit 23.500 Wörtern das kürzeste Programm auf die Beine, was einen deutlichen Unterschied zur Union mit ihrem historisch schlechtesten Bundestagswahlergebnis und einem Wahlprogramm mit 43.000 Wörtern darstellt. Die FDP schrieb 35.500 und die AFD ebenfalls 23.500 Wörter.
Wissenschaftler kritisieren Parteien
Um sämtliche Wahlprogramme aus den Bundestagswahlen 1949 bis heute analysieren zu können, lasen sich die Kommunikationswissenschaftler nicht selbst durch sämtliche Seiten. Sie bedienten sich einer Sprachsoftware, die sowohl die Länge der Sätze und der Wörter untersuchen, als auch den Anteil an Schachtelsätzen und den Anteil abstrakter Wörter abbilden konnte. Hieraus ergab sich ein Index zur Verständlichkeit, der auf einer Skala von 0 (formal schwer verständlich) bis 20 (formal leicht verständlich) reicht. Die Grünen erreichten hier lediglich eine Punktzahl von 5,6 und in dieser Kategorie die beste Partei die Linke 8,4. Wirklich verständlich ist das nicht. Allgemeine Nachrichten aus dem Radio kommen auf 16,4.
Die komplizierte Ausgestaltung der Inhalte sei laut Sprach-Wissenschaftler Brettschneider kritisch zu sehen: „Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben.“ Immerhin gäbe es in der Regel aber auch kürzere und simplere Versionen der Wahlprogramme.
Die Analyse bezog sich nur auf die reine Verständlichkeit, nicht jedoch auf die Inhalte selbst. Hierzu heißt es in der Studie: „Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist.“
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