Weltweit wirken Phänomene Politikverdrossenheit und Populismus wie Spalter ganzer Gesellschaften. So vertraute laut einer Umfrage aus dem Jahr 2023 nur etwa einer von vier Amerikanern den Institutionen des Landes, wobei insbesondere große Unternehmen, Fernsehnachrichten und der Kongress das geringste Vertrauen genossen. Nun berichtet der US-amerikanische Psychologe Garriy Shteynberg von der Universität Tennessee in einer Veröffentlichung von seiner jahrelangen Forschung. Demnach kann das gemeinsame Betrachten derselben Sache Menschen tatsächlich näher zusammenbringen.
Synchronisierte Aufmerksamkeit stärkt Emotionen
Die Untersuchungen von Shteynberg und seinem Team konzentrierten sich auf die Auswirkungen gemeinsamer Erlebnisse auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das gemeinsame Erleben von Ereignissen die psychologischen und Verhaltensreaktionen auf die Welt verstärken kann. Synchronisierte Aufmerksamkeit mit anderen führt somit zu stärkeren Erinnerungen, tieferen Emotionen und festeren Motivationen im Vergleich zum alleinigen Erleben. Darüber hinaus ergaben Studien, dass das gemeinsame Fokussieren auf gemeinsame Ziele die Anstrengungen aller zu deren Erreichen erhöht. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Teilen von Aufmerksamkeit zu einer verstärkten Bindung zwischen Beobachtern führt.
Laut Shteynberg ist die Grundlage des „kollektiven Geistes“ die geteilte Aufmerksamkeit, also Momente, in denen Menschen die Welt gemeinsam erleben. „Entscheidend ist, dass die Personen, die etwas mit Ihnen erleben, nicht physisch anwesend sein müssen“, so Shteynberg in einer Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin The Conversation. „In einigen Experimenten sitzen die Teilnehmer nebeneinander, in anderen Studien glauben sie, dass sie in verschiedenen Laborräumen oder sogar im ganzen Land gemeinsam an etwas teilnehmen. Unabhängig vom Ort verstärkt das Gefühl, dass wir gleichzeitig an etwas ‚teilnehmen‘ – im Vergleich zur Einsamkeit oder zum eigenen Zeitplan – die Erfahrung“.
Gemeinsamkeiten überbrücken politische Kluft
Die Ergebnisse dieser Forschung könnten weitreichende Implikationen für die Gesellschaft haben. „Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die gemeinsame Aufmerksamkeit für ein gemeinsames subjektives Erlebnis Beziehungen über die politische Kluft hinweg aufbauen und die Zusammenarbeit zwischen Fremden stärken kann“, kommentiert der Psychologie-Professor. „Wenn Menschen zum Beispiel gemeinsam erleben, dass sie auf ein unbekanntes Musikstück oder einen bedeutungslosen Tintenklecks die gleiche Reaktion haben, mögen sie sich mehr, auch wenn sie politisch gegensätzlich eingestellt sind“.
Die Momente können vielfältig sein, so die Forscher. Sie können relativ klein sein, wie ein Film im Kino, oder groß, wie der Superbowl.
Bild von Benjamin Davies auf Pixabay