Die Wissenschaftlerin Maria Sklodowska Curie wurde 1867 geboren. Anlässlich ihres 150. Geburtstages wurden ihr zahlreiche Ehrungen zuteil. Aber welche Lehren sollten aus dem Leben dieser außergewöhnlichen Frau gezogen werden, wenn man über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nachdenkt?
- Wissenschaftler interessieren sich nicht für Grenzen
Um von diesem Credo überzeugt zu sein, muss man sich nur die Biographie von Marie Sklodowska-Curie ansehen, welche in Polen geboren wurde und im Pantheon begraben liegt, dort, wo französische Helden ruhen. Wie kaum eine andere Person hat diese Ikone der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts und Galionsfigur derer, die vom Historiker Jean-Pierre Poirier einmal als „Eroberin des Atoms“ bezeichnet worden ist, diesen Glauben verkörpert. Sie kam nach Frankreich, um zu studieren, da dies damals Frauen (unter russischer Herrschaft) in Polen nicht erlaubt war. Dennoch hätte sie viele Jahre später durchaus nach Polen zurückkehren können (das endlich befreit worden war), in ein Polen, das sie begehrte, als bestimmte Teile der französischen Presse äußerst negativ gegen sie eingestellt waren und sogar so weit gingen, sie als ausländischen Emporkömmling zu bezeichnen. Eines der lebendigsten Beispiele zur Veranschaulichung dieses „wissenschaftlichen Kosmopolitismus“ stellt zweifellos die Solvay-Konferenz aus dem Jahre 1911 dar. Das Symposium aus Physikern und Chemikern, das vom gleichnamigen belgischen Chemiker im Hotel Métropole in Brüssel organisiert wurde, umfasste Marie Curie, die von Wissenschaftlern aus aller Welt umgeben war: Walther Nernst, Marcel Brillouin, Ernest Solvay, Hendrik Lorentz, Emil Warburg, Jean Baptiste Perrin , Wilhelm Wien, Henri Poincaré, Robert Goldschmidt, Max Planck, Heinrich Rubens, Arnold Sommerfeld, Frederick Lindemann, Maurice de Broglie, Martin Knudsen, Friedrich Hasenöhrl, Georges Hostelet, Édouard Herzen, James Jeans, Ernest Rutherford, Heike Kamerlingh Onnes, Albert Einstein und Paul Langevin…. Lange noch vor den Politikern hatten Wissenschaftler bereits Wege gefunden, sich am selben Tisch zu treffen und Ideen auszutauschen.
- Das Vorsorgeprinzip hätte ihr Leben gerettet …. Ja, aber…
Seitdem das Vorsorgeprinzip zum ersten Mal im 19. Jahrhundert zur Sprache gekommen war, hatte es bereits in der wissenschaftlichen Debatte eine derartige Position eingenommen, dass man es schon als eine Art Pawlowschen Reflex – sogar als alten Hut – in der Debatte um Wissenschaft und Gesellschaft bezeichnen konnte. Es ist unbestritten: Wäre dieser Grundsatz in der Ära von Marie Curie angewendet worden, hätte sie wahrscheinlich viel länger gelebt. Aber die grundlegende Frage, die sich stellt, lautet: „Wäre es ihr möglich gewesen, unter Beachtung des Vorsorgeprinzips und mit den damals verfügbaren Mitteln, die Eigenschaften von Polonium und Radium zu entdecken, und vor allem, wäre es ihr möglich gewesen, all die Anwendungen zu entwickeln, die aus dieser Entdeckung resultieren?“ Man muss in diesem Zusammenhang anmerken, dass es zu dieser Zeit keine „Whistleblower“ gab und dass die Wissenschaft hauptsächlich im Hinblick auf ihre Vorteile gesehen wurde, die sie der Gesellschaft brachte. Wie JP Poirier anmerkt: „Das Bewusstsein für die Schwere der Risiken, die von denjenigen ausgingen, die mit radioaktiven Substanzen Umgang hatten, entwickelte sich nur langsam. Die Risiken waren nicht unbekannt; Pierre und Marie Curie hatten schon früh davon berichtet. Aber die tatsächliche Schwere wurde nicht beachtet und niemand kannte die Grenzwerte, bei denen es zu einer gefährlichen Strahlenbelastung kommt. Der außergewöhnliche Widerstand von Marie Curie und ihrer Tochter Irene hat – angesichts der Risiken, die sie eingingen – diese sich nur in falscher Sicherheit wiegen lassen.“
- Die öffentliche Meinung ist vom „persönlichen Leben“ der Wissenschaftler genauso begeistert wie von ihren Entdeckungen.
Sehr oft hören wir heutzutage, dass sich Forscher über die Berichterstattung zu wissenschaftlichen Informationen beschweren und darüber, dass die Medien nur auf Sensationen aus sind und „gewöhnliche Meldungen“ verschmähen. Es scheint, das ist nichts Neues. Als Marie Curie sich eines Tages im Urlaub in Pouldu befand, antwortete sie auf die Interviewanfrage eines Journalisten wie folgt: „In der Wissenschaft sollten wir uns für die Dinge interessieren, nicht für die Menschen.“ Dieses Zitat hat etwas Vorausschauendes, vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, wie häufig und brutal sie von Journalisten in ihrem Leben angegriffen wurde. Das erste Mal geschah dies, als ihre Bewerbung auf eine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften abgelehnt wurde. In der nationalistisch angehauchten Zeitung L’Intransigeant äußerte sich Leon Bailby wie folgt dazu: „Wir sind der Ansicht, dass diese Frau, die zuvor von der Bevölkerung gefeiert wurde, in ihrem Verlangen nach Ehre und Ruhm eher zu weit geht.“ Er applaudierte dieser Lektion in „Geduld und Bescheidenheit“, die das Institut ihr gerade beigebracht hatte. Das zweite Mal geschah dies nach ihrer Affäre mit dem Wissenschaftler Langevin; Léon Daudt schrieb dazu in der rechtsgerichteten Action Française: „Diese ausländische Frau zerstört eine französische Familie. Sie ist das Ergebnis moralischer Korruption dieser Sorbonne-Studenten, die durch die Ideen von Ibsen und Nietzsche kontaminiert worden sind. Marie Curie und ihresgleichen sind in einen Topf mit Dreyfus zu stecken. Also sollten wir sie den Juden zuordnen.“ Als sie ihren zweiten Nobelpreis erhielt, sollte sie ihren durch diese Worte befleckten Ruf zurückfordern: „Ich denke, dass es keine Verbindung zwischen meiner wissenschaftlichen Arbeit und meinem Privatleben gibt, die gegen mich in unbedarften Publikationen verwendet werden darf und die darüber hinaus ein vollkommen verzerrtes Bild darstellt. Ich kann nicht akzeptieren, dass die Wertschätzung wissenschaftlichen Arbeitens durch die Verleumdung des Privatlebens beeinflusst werden kann.“
- Es gibt keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und politischem Engagement
Was am Leben von Marie Curie vor dem Hintergrund dieser beiden Nobelpreise auffällt, ist ihr Streben nach Entdeckungen, wie auch ihr hartnäckiger Wunsch, sich mit politischen Bewegungen zu beschäftigen. Als der Erste Weltkrieg gerade ausgerufen worden war, schrieb sie in der Tageszeitung Le Temps: „Es ist natürlich, dass sich die Polen, die immer zu den Freunden Frankreich gehört haben und ihm oft gedient haben, an dieses große republikanische und demokratische Land wenden, um Frankreich, vor dem Hintergrund der Unterstützung durch die alliierten Mächte, dazu zu ermutigen, die Freiheit und Unabhängigkeit Polens zu gewährleisten.“ Ihr äußerst erfolgreiches Ansinnen, mobile Röntgenfahrzeuge, im Volksmund als „Petits Curies“ bezeichnet, zu entwickeln und einzusetzen, erlaubte es, verwundete Soldaten direkt an der Front behandeln zu können. Es war ein großer Erfolg, als im Zeitraum von 1917 bis 1918 mehr als 1,1 Millionen radiologische Untersuchungen durchgeführt wurden.
5) Die Grenzen zwischen originärer Forschung und angewandter Wissenschaft verschwimmen
Wie wir gerade gesehen haben, unterstreicht das von Marie Curie während des Ersten Weltkriegs geschaffene System, wie falsch die Grenze zwischen ursprünglicher Forschung und angewandter Wissenschaft gezogen worden sind. Das ist es, was Claude Huriet in seinem Artikel „Das Curie-Modell, die andere Erfindung von Marie Sklodowska Curie“ aufzeigt, den wir hier gerne veröffentlichen.
Viel Spaß beim Lesen.
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Sieben Tage spater traf sie in New York City ein, wo sie von einer gro?en Menschenmenge begru?t wurde. Uber ihre Ankunft berichtete die