Im Juli 2018 überraschte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit seinem Grundsatz-Urteil (C528/16) über das Gen-Editing, das heißt das Umschreiben von Erbinformation mithilfe der „Genschere“ CRISPR/Cas9 und ähnlicher Techniken, sowie dessen eigenartige Begründung. In diesem Urteil stellt der EuGH gen-editierte Organismen, selbst wenn sie keine artfremden Gene enthalten und der Eingriff somit gar nicht nachweisbar ist, mit genetisch veränderten Organismen (GVO) im Sinne der EU-Gentechnik-Richtlinie gleich. Diese müssen danach also ebenfalls ein extrem aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen, das in dieser Gestalt weltweit einmalig ist.
Nüchterne Beobachter hatten erwartet, dass die neue Technik des Gen-Editing die ideologischen Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern der gentechnischen Optimierung von Kulturpflanzen überwinden hilft. Indem der EuGH sich lediglich auf die angewandte Technik und nicht auf die Resultate von Eingriffen in das Pflanzen-Erbgut bezog, hat er nach Ansicht führender Genforscher im Gegenteil der Ideologisierung der Auseinandersetzung um unterschiedliche Methoden der landwirtschaftlichen Praxis weiter Vorschub geleistet.
Dabei schafft gerade der Klimawandel neue Probleme und Herausforderungen für die Landwirtschaft, die mithilfe der raschen Züchtung neuer hitze-, trocken- feuchte- beziehungsweise fäulnis- oder mehltauresistenter Varietäten von Kulturpflanzen mithilfe des Gen-Editing besser beherrschbar wären. Herkömmliche Verfahren der Pflanzenzüchtung erscheinen dafür als viel zu langsam. Darauf wiesen zum Beispiel im Juni 2019 zwei Gutachter bei der öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Berlin hin. Die Technik des Gen-Editing ist erst seit 2012 bekannt. Damals entwickelte die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier gemeinsam der amerikanischen Biochemikerin Jennifer Doudna die „Gen-Schere“ CRISPR/Cas9 nach dem Vorbild der bakteriellen Virenabwehr. Viren versuchen, ihre Gene in die DNS ihrer Opfer zu schmuggeln. Diese wird dann zur Vervielfältigung der Viren missbraucht. Doch zum Glück gelingt das den Viren bei weitem nicht immer. Denn die Bakterien besitzen ein Enzym, das Cas9-Protein, das die fremden Basensequenzen zielsicher aus dem DNS-Strang schneidet und den Strang mit Hilfe zelleigener Reparatursysteme wieder zusammenfügt. Emmanuelle Charpentier, jetzt Direktorin des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin, konnte zeigen, dass man mit CRISPR/Cas9 auch bei höheren Pflanzen und Tieren mit vergleichsweise geringem Aufwand unerwünschte Gene mit hoher Präzision eliminieren und eventuell durch nützlichere ersetzen kann.
Jüngst wies Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorbereitung der am 17. Januar beginnenden alljährlichen großen Landwirtschaftsausstellung „Grüne Woche“ in Berlin darauf hin, dass Eingriffe in das Erbgut von Kulturpflanzen ein sinnvoller Weg zur Sicherung der Ernährung sein können. Das gelte unter anderem für vorteilhafte Eigenschaften wie Trocken- und Pilzresistenz sowie den Schutz der Ernte vor Schädlingsfraß. Das Gen-Editing erlaube die gezielte Einkreuzung solcher Faktoren. Julia Klöckner wörtlich: „Dieses enorme Innovationspotenzial sollten wir nutzen.“
Angesichts bäuerlicher Massendemonstrationen und Blockaden durch Traktoren, um gegen die zunehmende Gängelung der Landwirte durch strenge Düngevorschriften und Verbote von Pestiziden zu demonstrieren, kündigte Julia Klöckner für den 21. Januar den Beginn eines „nationalen Dialog-Forums“ an. „Dabei holen wir Landwirtschafts- und Umweltverbände, Verbraucher, Medien und Politik an einen Tisch. Wir müssen darüber reden, wie machbar welche Erwartungen sind oder was sie kosten“, erklärte Julia Klöckner.