Edgar L. Gärtner
Noch sind erst zwei Kernreaktoren der 3. Generation (EPR) in Betrieb, und zwar in China. Der erste EPR auf französischen Boden bei Flamanville in der Normandie ist seit 2007 im Bau, aber wegen Problemen mit den Schweißnähten am Druckbehälter noch immer nicht im Betrieb. Wenn der Reaktor schließlich mit 11 Jahren Verspätung seinen Betrieb aufnehmen wird, werden sich seine Baukosten mit über 12 Milliarden Euro gegenüber der ursprünglichen Schätzung etwa vervierfacht haben. Deshalb zeichnet es sich ab, dass sich das Konzept des EPR als Sackgasse erweisen wird, und zwar nicht primär wegen Sicherheitsproblemen, sondern wegen aus dem Ruder laufender Kosten. Das Konzept des EPR (Advanced European Pressurized Water Reactor) wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Antwort auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl entwickelt. Damals arbeiteten der staatliche französische Reaktor-Konstrukteur Areva und der deutsche Siemens-Konzern für einige Jahre zusammen. Die erste rot-grüne Regierungskoalition in Berlin sorgte für die Annahme sehr hoher Sicherheitsstandards wie die redundante Auslegung wichtiger Anlagenteile und den Einbau eines Core Catchers mit Keramik-Becken für den (wenig wahrscheinlichen) Fall einer Kernschmelze.
Handelt es sich beim EPR also um eine Fortentwicklung herkömmlicher Druckwasser-Reaktoren, kam wegen der damit verbundenen exorbitanten Kosten der Wunsch nach alternativen Reaktorkonzepten auf, die inhärente Sicherheit versprechen. Solche Konzepte gibt es schon seit dem legendären Manhattan Project zum Bau der ersten Atombomben, als die US-Militärs sich in einem harten Wettlauf mit Hitlers Atombomben-Projekt wähnten. Damals wurden alle möglichen Reaktorkonzepte durchgerechnet und zum Teil auch praktisch erprobt, um den effizientesten Weg für die Herstellung bombenfähigen Materials zu erkunden. Die Entscheidung für den Bau von Druck- oder Siedewasser-Reaktoren mit festem Nuklear-Brennstoff hatte militärische Gründe. Schon damals war aber auch ein Reaktor mit flüssigen Brennstoffen, der Molten Salt Reactor (MSR), in der Diskussion.
Am Konzept des MSR knüpften die Kernphysiker und Ingenieure des privaten Berliner Instituts für Festkörper-Kernphysik (IFK) mit der Entwicklung des Dual Fluid Reaktors (DFR) an. Im Unterschied zum EPR gibt es von diesem neuen Reaktortyp bislang nur Blaupausen. Das Konzept wurde aber von der Technischen Universität München validiert und sowohl in Amerika als auch in Europa patentiert (EP 2 758 965) Dieser Reaktor besteht, grob gesagt, aus zwei Röhrensystemen: in einem zirkulieren Mischungen spaltfähiger Stoffe in Form flüssiger Salze oder Metalle. Im anderen zirkuliert als Kühlmittel flüssiges Blei. Zwischen beiden sitzt ein Wärmeaustauscher. Der Kreislauf für die Brennstoffe ist geometrisch so konstruiert, dass an einer bestimmten Stelle die Bedingungen für die Auslösung einer nuklearen Kettenreaktion gegeben sind. Da die dabei entstehende Hitze sofort über die Kühlschleife abgeführt wird, sind keine Moderatoren nötig. Der Umlauf des Kühlmittels bestimmt die Geschwindigkeit der Kettenreaktion. Sollte die Temperatur im Brennstoff-Kreislauf doch einmal einen kritischen Wert übersteigen, können mit Auffang-Tanks verbundene Schmelztopfen für rasche Abkühlung sorgen. Der DFR gilt deshalb als inhärent sicher.
Über einen weiteren Wärmeaustauscher wird die Hitze des Bleikreislaufs zur Erzeugung von Dampf für den Betrieb von Turbinen genutzt. Da die Betriebstemperatur des DFR bei etwa 1.000 °C liegen wird, eignet er sich nicht nur optimal für die Elektrizitätserzeugung, sondern auch als Quelle von Prozesswärme für die Synthese von Kraftstoffen o. ä. Da der DFR mit schnellen Neutronen arbeitet, kann er wahlweise als Brüter, Verwerter von radioaktiven Abfällen oder als Transmutationsanlage eingesetzt werden. Jedes radioaktive Schwermetall, das man in seine Brennstoffschleife einbringt, wird entweder direkt gespalten oder durch Neutroneneinfang in ein spaltbares Isotop umgewandelt. Der DFR kann prinzipiell jedes Isotop mit Atomgewicht größer oder gleich 232 (Thorium) als Energiequelle nutzen. Dafür sorgen das harte Neutronenspektrum und die integrierte Aufarbeitungsanlage, die Pyrochemische Prozesseinheit (PPU). Im Unterschied zu den heutigen Leichtwasser-Reaktoren (LWR), die nur knapp ein Prozent der im Uran enthaltenen Energie nutzen, kann der DFR diese Energie zu 100 Prozent verwerten. Dann würden die Uranvorräte unseres Planeten beinahe für ewig reichen, denn es würde sich dann Lohnen, Uran sogar aus dem Meerwasser oder aus Gartenerde herauszufiltern. Der DFR wäre somit die billigste Quelle erneuerbarer Energie.
(https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0306454915000730?via%3Dihub)