Laut einer neuen Studie des deutschen Forschungsinstituts DIW und der Technischen Universität Berlin ist die Kernenergie weit weniger zuverlässig ist als bisher angenommen. Die im Auftrag der Schweizerischen Energiestiftung (SES) durchgeführte Untersuchung wirft ernsthafte Fragen über die Tragfähigkeit der Kernenergie als langfristige Energielösung auf.
Atommeiler fallen immer häufiger aus
«Die Schweizer Atomkraftwerke unterliegen großen Unsicherheiten, etwa durch ungeplante sicherheitsbedingte Ausfälle oder verlängerte Revisions- und Reparaturzeiten», so Fabian Lüscher (33), Leiter Atomenergie bei der SES gegenüber dem Schweizerischen Blick. Die Forscher untersuchten die unterschiedlichen Atommeiler im Alpenland und interessierten sich besonders für die Zeiten von Stilllegungen. So musste etwa das AKW Beznau 1, zwischen 2015 und 2018 ganze 1100 Tage heruntergefahren werden. Das AKW Leibstadt musste 2016, 2018 und 2021 in längeren Phasen gewartet werden.
Besonders auffällig ist die Zunahme der Ausfälle der Kraftwerke im Laufe der Zeit. Während im Zeitraum zwischen 2011 und 2020 sieben ungeplante Schnellabschaltungen der Reaktoren in Leibstadt und drei Abschaltungen in Gösgen ausgeführt wurden, war es in den Jahren zuvor und seit 1995 insgesamt lediglich sechsmal zu Zwischenfällen gekommen. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für die Versorgung der Schweiz.
Versorgungssicherheit in der Schweiz wohl nicht gegeben
«Die Sicherheit der Stromversorgung ist höher, wenn die Schweiz den Ausbau der Fotovoltaik vorantreibt und auf den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken verzichtet», zitiert Blick Studienautor Mario Kendziorski (32). «Schweizer Atomkraftwerke sind ein erhebliches Risiko für die Versorgungssicherheit.» Indes plant die Politik in Form des Bundesrates in Energieszenarien damit, sowohl das AKW Leibstadt als auch das AKW Gösgen bis ins Jahr 2035 weiterlaufen zu lassen. Laut der Studie würde dies aber die Versorgungssicherheit der Nation gefährden.
Eine ähnliche Gefährdung ist mittlerweile auch in Frankreich festzustellen, wo gleich mehrere AKWs aktuell gemeinsam vom Netzwerk genommen werden mussten. «Das zeigt, dass der gleichzeitige Ausfall mehrerer Kraftwerke eine sehr realistische Bedrohung ist», so Kendziorski. «Nicht nur wegen der Gefahr schwerer Unfälle ist es ratsam, auf Atomkraft zu verzichten und den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. Es lohnt sich auch mit Blick auf die Versorgungssicherheit.»
Erneuerbare Energien wohl deutlich sicherer als AKWs
Für die Schweiz stellt die Studie zwei Szenarien für das Jahr 2035 auf. Das erste Szenario folgt den aktuellen Plänen zur Beibehaltung der Laufzeiten. Dem gegenüber wird ein Szenario gestellt, das annimmt, dass stattdessen Foltovoltaik-Anlagen gebaut werden, die 16 Terrawattstunden (TWh) stemmen könnten. Auch möglicher Stromhandel mit den Nachbarstaaten wurde berücksichtigt. Im Frühjahr, zwischen März und April, leisten die Speicherwasserkraftwerke aufgrund niedriger Stände die wenigste Leistung. Dann kann ein Ausfall im aktuellen Energiemix von Atommeilern besonders starke Konsequenzen mit sich ziehen.
Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wäre ein vollständiger Umstieg auf regenerative Energien eine geeignete Möglichkeit. «Es gibt bei der Fotovoltaik gewisse Unsicherheiten bei der Prognose der Stromerzeugung», so Kendziorski ein. «Aber die sind viel besser kalkulierbar als bei der Atomkraft und können bei der Planung von vornherein berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass unmöglich alle Solarpanels gleichzeitig ausfallen. Bei Kernkraftwerken ist das augenscheinlich anders.»
Bild von Markus Distelrath auf Pixabay