Ein Tsunami ist an vielen Küsten der Welt eine Gefahr. Dass er auch in Seen entstehen kann ist wenig bekannt. Jetzt aber erforschen Wissenschaftler in der Schweiz die Geheimnisse der Todeswellen im idyllischen Vierwaldtstättersee.
Tsunami-Forschung in der Schweiz
Tsunamis können dramatische Folgen haben, das hat die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima gezeigt. Auch nach dem Seebeben 2004 an den Küsten des Indischen Ozeans starben mehr als 230.000 Menschen. Ursache war ein starkes Erdbeben unter dem Ozeangrund. Diese Gefahr kann auch in einem See lauern, weil auch dort unter der Wasseroberfläche Erdmassen ins Rutschen geraten können. Deshalb erforscht man nun auch in der Schweiz das Wellenphänomen. Unter anderem will man herausfinden, wie stabil das Gestein unter der Wasseroberfläche ist. „Super wäre es eine Methode zu entwickeln, mit der wir sagen können: Das sind stabile Hänge, das sind instabile Hänge“ erklärt die Geologin des Schweizerischen Erdbebendienstes gegenüber dem ARD Haupstadtstudio. So wäre eine bessere Vorhersage möglich, ob ein Hang bei einem Erdbeben abrutschen und dadurch einen Tsunami auslösen könnte.
See-Tsunamis als große Chance für die Forschung
Tsunamis verbindet man üblicherweise mit dem Meer. Aber sie stellen auch in der Schweiz eine reale Gefahr dar. Im Jahre 1601 erschütterte am 18. September ein schweres Erdbeben die Zentralschweiz. In der Folge wurde eine Tsunami ausgelöst. Flavio Anselmetti, Professor für Geologie an der Universität Bern gegenüber der ARD: „Es gab vier Meter hohe Wellen, die Menschenleben gefordert haben.“ Anselmetti sieht in den See-Tsunamis ein großes Potential für die Tsunami-Forschung welteit. Um die hohen Flutwellen, die durch Erdbeben ausgelöst werden, besser zu verstehen, schloss man sich mit der ETH Zürich und dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Uni Bremen zusammen.
Ein Bergsee als Modell
Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft lässt sich sehr gut erklären, wie ein Tsunami entsteht. Unklar bleiben aber weiterhin die Ursachen und bis jetzt sind eine zeitliche Vorhersage und eine genaue Lokalisierung nicht möglich. Hier setzen die Forscher in der Schweiz an. Der Vierwaldtstättersee dient als kleines Modell für die großen Ozeane. „Ich kann zwar nicht den ganzen Indischen Ozean anschauen, aber den ganzen Vierwaldstättersee. Ich kann schauen, wie die Wellen ausgelöst werden, wie sie sich ausbreiten und ich kann das Gesamtsystem betrachten“, erklärt Anselmetti die Grundidee ihres Forschungsvorhabens.
Tsunami-Forschung auf mehreren Ebenen
Um Mini-Erschütterungen aufzuzeichnen und zu lokalisieren versenken die Geologen Messgeräte im See. Die Daten könnten bahnbrechend sein, da es sich um Erschütterungen handelt, die an Land nicht mehr wahrgenommen werden. Bisher haben „wir noch nie eine Unterwasser-Rutschung gesehen. Und solange wissen wir immer noch nicht, wie es funktioniert“ sagt Geologin Katarina Kremer aus dem Forscherteam. An Land wird in der Zwischenzeit bis zu 100 Meter in den Boden gebohrt. Es werden Daten über die Geschwindigkeit der Wellen erfasst und in eine Computersimulation eingegeben. Damit sollen präzisere Aussagen über die Heftigkeit der Erschütterung gemacht werden können und ihre Folgen besser vorhergesagt werden. In den nächsten drei Jahren dient der Schweizer See als Modell für die Ozeane dieser Welt. Es werden Daten erhoben, Proben entnommen und Computersimulationen erstellt – alles mit der Hoffnung, am Ende die tödlichen Wellen besser zu verstehen um damit in Zukunft Leben retten zu können.