Edgar L. Gärtner
Ich habe hier kürzlich darüber berichtet, dass das bewährte und weit verbreitete Diabetes-Medikament Metformin neuerdings in der Altersforschung als heißer Kandidat für lebensverlängernde Cocktails gilt. Auch bei Bodybuildern gilt es inzwischen als eine Art Wunderdroge. Metformin (chemisch 1,1-Dimethylbiguanid) ist preiswert in der Herstellung und seit langem als Standard-Medikament gegen die nicht insulinabhängige Zuckerkrankheit (Typ-2-Diabetes) sowie gegen Übergewicht (Adipositas) im Gebrauch.
Wie es genau wirkt, ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt. (Das gilt allerdings für viele andere bewährte Medikamente ebenfalls.) Experimente weisen darauf hin, dass es die Glycerin-3-phosphat-Dehydrogenase in den Mitochondrien der Leber und damit die Glucose-Neubildung hemmt. Daneben könnte Metformin auch die Glucose-Aufnahme im Darm hemmen beziehungsweise die Glucose-Resorption der Muskelzellen steigern und deren molekularbiologische Kommunikation mit den Mitochondrien verbessern. Sein wichtigster Vorteil: Im Unterschied zu Insulin kann Metformin allein keine Unterzuckerung des Organismus provozieren.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Metformin überhaupt keine unerwünschten Nebenwirkungen hat. Bei etwa jedem zehnten Patienten kommt es zu schweren Verdauungsproblemen wie Blähungen, Krämpfen, Durchfall und Übelkeit. Es kann bei Patienten mit schwachen Nieren auch zu einer gefährlichen Übersäuerung des Blutes mit Laktat kommen. Europäische Fachärzte raten deshalb davon ab, Metformin ohne klare medizinische Indikation aufs Geratewohl einzunehmen, um Alterserscheinungen wie Übergewicht und Diabetes vorzubeugen, wie das inzwischen in Amerika verbreitet ist. In der deutschen Bodybuilder-Szene gilt die Einnahme von Metformin geradezu als Ersatz für die regelmäßige sportliche Betätigung, um Fettpolster abzubauen. In Europa setzt sich übrigens der Off-Label-Use von Metformin bei der Behandlung des polyzystischen Ovarialsyndroms durch. Dieses geht auf eine übermäßige Produktion von Testosteron zurück und hindert die betroffenen Frauen, schwanger zu werden.
Im Jahre 2015 genehmigte die US-Arzneimittelbehörde FDA erstmals eine klinische Studie, die nicht auf die Heilung oder Verhinderung einer Krankheit, sondern auf die Verlangsamung des Alterungsprozesses abzielt. Diese in diesem Jahr mit insgesamt 3.000 Probanden gestartete Studie soll klären, ob die Behandlung des Typ-2-Diabetes mit Metformin bei älteren Patienten zwischen 70 und 80 Jahren, die bereits an Krebs, Kreislauf-Erkrankungen und beginnender Demenz leiden oder ein erhöhtes Risiko dafür tragen, zu einer Milderung des Krankheitsverlaufs und einer Verlangsamung des Alterungsprozesses beziehungsweise einer Verlängerung der Lebenserwartung führen kann. Frühere Studien hatten bereits bei Diabetes-Patienten, die Metformin einnahmen, deutliche Hinweise auf ein bis zu 37 Prozent niedriges Risiko für Dickdarm-, Prostata- und Brustkrebs festgestellt. Die Ergebnisse der 2019 gestarteten Studie werden erst in einigen Jahren vorliegen.
Eine Anfang Dezember 2019 publizierte Meta-Studie des Cochrane-Instituts (https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD008558.pub2/full) zeigt allerdings schon jetzt, dass die Einnahme von Metformin nicht als Ersatz für regelmäßigen Sport und die Umstellung auf eine allgemein gesündere Lebens- und Ernährungsweise dienen kann. Es ist also nicht gerechtfertigt, Metformin allein Wunderwirkungen im Kampf gegen die Gebrechen des Alterns zuzuschreiben, wie das in der Sensations-Presse bereits geschieht. Schon schlägt sich der wachsende Gebrauch des Medikaments nicht nur in der Zunahme von Berichten über gefährliche Nebenwirkungen wie Blut-Übersäuerung bei narkotisierten Patienten oder Vitamin-B12-Mangel nach längerer Einnahme nieder, sondern auch in Umweltbelastungen. Metformin beziehungsweise sein Abbauprodukt Guanylharnstoff passieren nämlich als kleine Moleküle die Klärnlagen und finden sich in den Füssen wieder. In einem deutschen Fluss wurden bereits 200 Mikrogramm je Liter gemessen. Niemand weiß, welche Auswirkungen das hat.