Wer in mittleren Jahren fett ist, kann dennoch fit sein, sofern er sich vier Stunden täglich Bewegung gönnt und/oder regelmäßig Sport treibt. Das hat Dr. Klodian Dhana am medizinischen Zentrum der Rotterdamer Erasmus-Universität in einer Studie an 5.300 Probanden mit einem Alter ab 55 Jahren und einem Durchschnittsalter von 70 herausgefunden. Diese Personen wurden 15 Jahre lang beobachtet. Übergewichtige Faulpelze hingegen hatten ein um ein Drittel höheres Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Risiko. Die Studie wurde kürzlich im European Journal of Preventive Cardiology veröffentlicht.
Dr. Dhana bestreitet nicht, dass von den Fettpolstern negative Einflüsse ausgehen können wie zum Beispiel die Verstärkung der Bildung von Blutgerinnseln. Dadurch steigt bekanntlich das Risiko für Herzinfarkte und Hirnschläge. Aber regelmäßige körperliche Betätigung wirkt diesem Risiko offenbar entgegen, indem sie die Zahl der Thrombozyten und den Sauerstoffbedarf des Herzens senkt. Das Ergebnis seiner Studie dürfe also nicht als Freibrief für eine riskante Ernährungsweise ausgelegt werden, betont Dr. Dhana. Vielmehr bekräftige sie die Überzeugung vom gesundheitlichen Nutzen von viel Bewegung.
Diese Auffassung wird bestätigt durch eine wissenschaftliche Arbeit, die kürzlich in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erschien und dann in der internationalen Presse für Schlagzeilen sorgte. Prof. Hillard Kaplan von der Universität von New Mexico/USA hatte mit seinem Team zwischen 2004 und 2015 mithilfe von Computer-Tomografen (CT) und Röntgen-Scannern den Gesundheitszustand von über 700 erwachsenen Angehörigen eines von der Zivilisation kaum berührten Indianerstammes, den Tsimane, im bolivianischen Amazonas-Urwald untersucht und mit den Gesundheitsdaten von 7.000 Nordamerikanern verglichen.
Der Stamm der Tsimane umfasst etwa 13.000 Individuen, die verstreut in über 80 kleinen Dörfern an den Ufern des Flusses Maniqui leben. Er widerstand allen Missionierungsversuchen durch die Jesuiten. Die Tsimane verbringen fast den ganzen Tag mit Jagen und Fischen (mit Pfeil und Bogen) sowie dem Sammeln von Kräutern und Nüssen. Sie sind also fast ständig in Bewegung. Tierische Proteine machen nur etwa 14 Prozent ihrer täglichen Nahrungsaufnahme aus. Der große Rest besteht größtenteils aus faserreichen Kohlehydrat-Trägern wie Reis, Wegerich, Maniok und Mais. Hinzu kommen Nüsse und Früchte. Aus Maniok brauen die Tsimane auch Bier, das sie in ihrer Geselligkeit unterstützt.
Die Wissenschaftler waren erstaunt über den guten Zustand der Arterien älterer Tsimane. Neun von zehn Untersuchten hatten glatte Arterien. Manche 80-Jährige hatten Arterien, die in so gutem Zustand waren wie die 50-jähriger Nordamerikaner. Die meisten Mitglieder des Stammes hatten auch eine vergleichsweise niedrige Pulsfrequenz und einen niedrigen Blutdruck sowie niedrige Cholesterin- und Blutzucker-Werte. Weniger gut ins Bild scheint die Tatsache zu passen, dass das Blut von etwa der Hälfte aller Stammesmitglieder erhöhte Werte von Entzündungs-Markern aufweist. Mich wundert das aber nicht. Denn wenn ich direkt nach dem Besuch eines Fitness-Studios zur Blutentnahme gehe, sind meine Entzündungs-Werte auch erhöht. Mein Hausarzt weiß das inzwischen und rät mir deshalb zur Blutprobe vor der Gymnastik. Bei den Tsimane könnten die hohen Entzündungs-Werte aber auch mit ihrem häufigen Kontakt mit Krankheitserregern aller Art zusammenhängen.
Während es auf dem Hintergrund der Studie von Dr. Dhana naheliegt, den guten Gesundheitszustand der Tsimane in erster Linie auf deren sportlichen Lebenswandel zurückzuführen, sieht Prof. Kaplan darin eher eine Bestätigung der zurzeit politisch-korrekten Hypothese von der segensreichen Wirkung einer fleischarmen Ernährung. Predigen doch die Grünen aller Parteien seit einiger Zeit den Verzicht auf Fleisch – angeblich, um das Klima (welches Klima?) zu schützen. In Deutschland gingen Medizinstatistiker aus diesem Grund sogar so weit, eine Meta-Studie über den Zusammenhang von Übergewicht und Lebenserwartung zu fälschen, indem sie die Daten von fast zwei Dritteln der Probanden, d.h. von Rauchern, Ex-Rauchern und chronisch Kranken (insbesondere von Diabetikern und an Herzinsuffizienz Leidenden) aus der Studie herausnahmen. Dabei wissen die Mediziner schon seit längerem, dass gerade diese Personen-Gruppen von Fettpolstern, sofern diese nicht extreme Ausmaße annehmen, profitieren. „Dicker Bauch stützt schwaches Herz“, titelte die Ärzte-Zeitung schon im Jahre 2012. „Dicke verkraften zweiten Schlaganfall besser“, berichtete die Ärzte Zeitung wenige Monate später. „Schlanke Typ-2-Diabetiker stärker gefährdet“, meldete die Deutsche Diabetes Gesellschaft im Jahre 2012. „Übergewichtige Herzinsuffizienz-Patienten leben länger“, schrieb das Deutsche Ärzteblatt im Jahre 2015. Das sind nur wenige Beispiele aus einer ganzen Reihe ähnlicher Meldungen in der Fachpresse.
Vor kurzem wies der Diplom-Ernährungswissenschaftler Uwe Knop in einem Vortrag in Frankfurt darauf hin, dass es kaum möglich ist, aus epidemiologischen Studien Ernährungs-Empfehlungen abzuleiten. Denn dabei werden lediglich Korrelationen zwischen Datenreihen ermittelt, aber keine ursächlichen Zusammenhänge. Wenn die Zahl der Störche im Gleichklang mit der Zahl der Geburten schwankt, beweist das bekanntlich noch nicht, dass die Störche die Babys bringen. Und wenn die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ähnlich wie der Verbrauch von Zucker steigt, beweise das noch lange nicht, dass der Zuckerkonsum dafür verantwortlich ist, sagt Knop. In Wirklichkeit gehe es dabei darum, die Einführung einer „Zuckersteuer“ zu rechtfertigen und/oder Reklame für teure Diäten zu machen.
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