Noch immer gilt die ebenso hartnäckige wie unangenehme Entzündung der Darmschleimhaut mit schubweise auftretenden heftigen Schmerzen in der rechten Bauchseite, Krämpfen und Durchfällen, die erstmals 1932 vom New Yorker Internisten Burill Bernard Crohn und seinen Kollegen beschrieben wurde, als geheimnisvoll und nicht wirklich heilbar, sondern nur symptomatisch behandelbar. Einigkeit gibt es unter den Medizinern immerhin darüber, dass die Krankheit als Autoimmunerkrankung klassifiziert werden sollte, da ihre Symptome auf Immunmodulatoren wie Glukokortikoide (Cortison usw.) ansprechen. Man nimmt an, dass in den Schleimhautzellen eine Immunreaktion gegen verschiedene Elemente der Darmflora ausgelöst wird. Infolge der chronischen Entzündung kann die Darmwand am Ende durchlässig werden. Es entstehen Fisteln, das heißt feste Verbindungen zwischen dem Darm und anderen Organen (einschließlich der Sexualorgane und der Körperhaut), die zum Teil nur operativ behandelt werden können. Ähnliches gilt für Abszesse und dadurch verursachte Darmverschlüsse.
Schon seit Jahrzehnten gibt es auch Versuche, dem Morbus Crohn mit einer Umstellung der Ernährung beizukommen. Das war naheliegend, gelten Bauchschmerzen doch schon immer als Hinweis auf den Konsum schlecht verträglicher Speisen. Seit dem vergangenen Jahrhundert ist es im Prinzip auch möglich, einzelne für die Nahrungsmittel-Unverträglichkeit verantwortliche Stoffe zu identifizieren. Einer der bekanntesten von ihnen ist das in Weizenmehl enthaltene Kleber-Eiweiß Gluten. Es ist verantwortlich für die Stoffwechselkrankheit Zöliakie. Einen ähnlichen Zusammenhang vermuten manche Mediziner auch beim Morbus Crohn. Seit Ernährungswissenschaftler die menschliche Ernährung aus einer evolutionstheoretischen Perspektive betrachten, gerieten Getreideprodukte generell unter Verdacht. Denn über Hunderttausende von Jahren lebten die Menschen in überschaubaren Horden von nomadischen Jägern und Sammlern, die sich außer von erbeutetem Wildfleisch nur von Wildkräutern, Pilzen und Früchten (hauptsächlich Beeren) ernährten – und wohl hin und wieder auch vom Honig wilder Bienen naschten.
Bis zum Übergang zum Anbau von Getreidepflanzen und dem damit unweigerlich verbundenen Seßhaftwerden vor etwa fünf- bis zehntausend Jahren (bekannt als neolithische Revolution) nahmen die Menschen also im Vergleich zu heute sehr viel mehr Eiweiß und Fett, aber deutlich weniger Kohlehydrate zu sich. Nur auf der Grundlage einer protein- und lipidreichen Ernährung konnte sich das große Hirn entwickeln, das den Menschen vor allen anderen Geschöpfen auszeichnet. Dem trägt auch der Aufbau unseres Verdauungssystems Rechnung. Im Vergleich zu den Därmen der großen nichtmenschlichen Primaten (Schimpansen und Gorillas) mit viel kleineren Hirnen ist der menschliche Dünndarm deutlich verlängert, während der Dickdarm verkürzt ist. Der Mensch hat also einen typischen Fleischfresser-Darm. Dazu passen zwar nicht seine vergleichsweise schwachen Zähne und Muskeln. Aber diesen Nachteil können die Menschen mithilfe ihrer höheren Intelligenz ausgleichen. Seit der neolithischen Revolution muss unser Fleischfresserdarm aber auf einmal mit Getreideprodukten verschiedenster Art fertig werden, die in den aufkommenden Agrargesellschaften die wichtigste Nahrungsgrundlage darstellten. Daran konnte sich unser Verdauungssystem in wenigen Jahrtausenden vermutlich kaum anpassen.
So lag es nahe, den von Morbus Crohn Geplagten eine Diät mit viel Fett und Eiweiß, aber wenig Kohlehydraten zu verordnen. Das tat als einer der ersten der österreichische Internist Wolfgang Lutz. In seinem noch heute verfügbaren Bestseller „Leben ohne Brot“ behauptet er, seit den 1950er Jahren insgesamt 10.000 Morbus-Crohn- und Colitis-Ulcerosa-Patienten mithilfe seiner Lutz-Diät geheilt zu haben. Sein noch heute propagierter Diät-Plan gilt als Vorläufer der inzwischen populäreren Atkins- oder Paläo-Diät. Im Unterschied zu diesen schließt er stark kohlehydrathaltige Lebensmittel nicht vollkommen aus. Seine Erfolgsbilanz wird aber heute von vielen Medizinern und Ernährungswissenschaftlern stark angezweifelt, denn sie beruht nicht auf statistisch einwandfreien klinischen Tests oder epidemiologischen Studien. Ein unabhängig von Lutz durchgeführter klinischer Langzeit-Test der Lutz-Diät brachte keine verwertbaren Ergebnisse, weil viele Studienteilnehmer die Diät nicht durchhielten. Zumindest einem Teil der Darm-Patienten scheint die kohlehydratarme Diät aber wirklich geholfen zu haben.
Ob und inwieweit eine fettreiche Ernährung der gefürchteten Darmentzündung wirklich abhelfen kann, lässt sich nur experimentell klären. Damit hat nun der Internist Prof. Alexander Rodriguez-Palacios in der Medizinschule der renommierten Case Western Reserve Universität in Cleveland/Ohio begonnen. Er fütterte Labormäusen, die unter Crohn-ähnlichen Symptomen litten, mit Kokosöl und Kakaobutter und beobachtete, welche Auswirkungen das auf die Darmflora und die Entzündungsmarker der Tiere hatte. Prof. Rodriguez-Palacios hat erste Ergebnisse seines Experiments kürzlich auf einer Konferenz über Verdauungskrankheiten in Chicago vorgestellt. Daraus geht hervor, dass eine fettreiche Ernährung die Darmflora durchaus günstig beeinflussen und Entzündungen hemmen kann. Es bleibt aber offen, wieweit dieser Befund auf Menschen übertragbar ist. Offenbar können Menschen auf bestimmte Nahrungsbestandteile sehr unterschiedlich reagieren. Was einem Teil der Menschen bekommt, muss noch lange nicht allen helfen. Deshalb sollte man allgemeinen Ernährungsempfehlungen immer mit Vorsicht begegnen.
Es gibt aber nach allem keinen Grund, gesättigte Fette wie Kokosöl zu verteufeln, wie das vor kurzem das Präsidium der einflussreichen American Heart Association (AHA) getan hat. Nicht zufällig erhält die AHA von den Verbänden der Hersteller mehrfach ungesättigter Öle (wie Rapsöl oder Sojaöl) bedeutende finanzielle Zuwendungen. Das sollte genügen, um deren Ernährungsempfehlungen zu misstrauen.
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