Die Rückkehr zu einer unberührten ländlichen Idylle ist wie das Eldorado inmitten einer öffentlichen Debatte, die oft zwischen „künstlicher“ Natur und ursprünglicher Natur gespalten ist. Die räumliche Trennung zwischen Stadt und Land wird durch eine Postkartenansicht der malerischen Landschaft mit einem bestimmten sozialen Naturbegriff veranschaulicht. Ländliche Gebiete als makellose Landschaften darzustellen, bedeutet jedoch, die nachhaltige Entwicklung zu verraten, indem man sich der Menschheit und der biologischen Vielfalt widersetzt.
Weniger anthropogene Umgebungen
Einige ländliche Gebiete werden für die menschliche Landwirtschaft allmählich weniger genutzt. In Frankreich haben die Waldflächen in einem Jahrhundert um 7 Millionen Hektar zugenommen und bedecken heute fast ein Drittel des Landes [1]. Diese Dynamik lässt sich vor allem durch Veränderungen in der Landwirtschaft erklären, die dazu führen, dass Flächen aufgegeben werden, woraufhin sie zu Buschland und dann zu Wäldern werden. Diese Gebiete, die als wegweisende Waldgebiete gelten, werden in der Regel nicht für Holz genutzt, da sie manchmal auf unebenem Gelände sind oder keine Spuren aufweisen, um das Holz herauszuschleudern. So sind 30 % des französischen Waldes, vor allem in Berggebieten, schwer zu nutzen [2].
Gleichzeitig haben einige Wildarten, wie z.B. Wölfe, ihre Bestände zwischen 1992 und 2014 um 15 bis 20% pro Jahr zugenommen, mit einem Trend zu einer stabilen Anzahl isolierter Individuen, aber größeren Rudeln [3]. Obwohl schwieriger zu quantifizieren, nehmen die Wildschweinbestände auch in Frankreich und Europa zu [4].
So nehmen die vom Menschen wenig genutzten Gebiete – gekennzeichnet durch eine überwiegend wilde Fauna und Flora – zu. Ohne für den Anthropozentrismus einzutreten, wird in einigen Ökosystemen die Rolle des Menschen reduziert, vor allem aber verändert. Die Bewirtschaftung von Wald- oder Feldökosystemen wird manchmal in passive Konsumbeziehungen umgewandelt, ohne dabei Lebensräume zu künstlich zu gestalten. Wenn sich in bestimmten Bereichen das Verhältnis zur Natur verändert, bedeutet das nicht, dass sie unbedingt ausgenutzt werden muss.
Eine soziale Konstruktion der Natur
Der Gegensatz zwischen Natur und Kultivierung ist schwer zu beseitigen. Rousseau-artige Ideen einer unberührten und ursprünglichen Natur sind Gegenstand vieler Debatten; vom Anti-Speziesismus über Pflanzenrechte bis hin zur Heiligung von Naturräumen.
So führt in einer Gesellschaft, in der die familiären Bindungen oder die engen Beziehungen zur Landwirtschaft abnehmen, die Kluft zwischen Stadtmaus und Landmaus manchmal zu einem Gegensatz zwischen Kultur und Natur.
Laut dem Soziologen Bertrand Hervieu gibt es eine gewisse Depatrimonialisierung der ländlichen Gebiete [5], mit dem Eindringen externer Akteure (keine Eigentümer und/oder keine Landbewirtschaftung) in das Management dieser Umgebungen, die zunehmend „veröffentlicht“ werden. Es gibt ein echtes Bewusstsein, aber es ist manchmal moralisch und von den Realitäten vor Ort getrennt. Für den Ökologen Christian Lévèque stellten viele Menschen einen Gegensatz zwischen dem Authentischen, dem Gesunden und den von Menschen verursachten Schäden her [6]. In einigen Umgebungen ist der Mensch tatsächlich zum Problem geworden, und die Menschen suchen nach einer Flucht in Umgebungen, die von Menschenhand unberührt oder kaum berührt werden. So wird die ursprüngliche Natur als Zufluchtsort vor menschlichen Aktivitäten dargestellt, als unberührte Pufferzone zwischen übermenschlichen Stadträumen, in einem Frankreich der vollen oder leeren Räume…….
Nachhaltige Entwicklung, um den Platz der Menschheit zu überdenken
Und was wäre, wenn wir den Platz des Menschen in der ländlichen Umgebung überdenken würden? Ländliche naturbezogene Tätigkeiten beschränken sich nicht nur auf die Nutzung von Ressourcen (Land für den Landwirt oder Wald für den Förster). Der Landwirt ist nicht darauf beschränkt, die Natur zu nutzen. Sie wertet sie auf, indem sie Hecken pflanzt oder biologische Elemente wiederherstellt, wenn sie Getreidestrohhalme begräbt oder ihren Viehdünger ausbringt. Diese Ströme, die dem Bodengleichgewicht und der Fruchtbarkeit zugute kommen, wären ohne menschliche Aktivität nicht die gleichen.
Folglich ist die Antwort auf die durch schlechte Entwicklung verursachten Ökosystemumwälzungen nicht keine Entwicklung, sondern eine alternative Entwicklung oder nachhaltige Entwicklung. Die Verkünstlichung von Umgebungen, die vom Menschen wenig genutzt werden, kann viele Vorteile für die Umwelt mit sich bringen, wie z.B. Dauergrünland, das die Kohlenstoffspeicherung kombiniert, eine große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten und die Regulierung des Wassers. Diese Vorteile stehen nicht im Widerspruch zur Entwicklung des Ökosystems und seiner Nutzung für landwirtschaftliche Zwecke. Mehr denn je sollte das landwirtschaftliche Grundstück als kultiviertes Ökosystem oder Agroökosystem betrachtet werden.
Ländliche Gebiete sind manchmal Opfer eines imaginären, arkadischen und usprünglichen Naturverständnisses. Die Verkünstlichung von Lebensräumen ist jedoch dann positiv, wenn sie sowohl dem Ökosystem zugute kommt als auch die natürlichen Ressourcen nachhaltig nutzt. Anstatt die Menschen aus den Ökosystemen zu vertreiben, sollten wir ihren Platz auf eine stärker umweltorientierte Weise überdenken.
1] Institut national pour l’Information géographique et foretiѐre [Nationales Institut für Geographische und Forstwirtschaftliche Informationen] (IGN). 2018. La Forêt française, état des lieux et évolution récente [Der französische Wald, Stand der Dinge und die jüngsten Entwicklungen]. IGN. Online, Link.
2] Ebd.
3] Office national de la chasse et de la faune sauvage [Nationales Amt für Jagd und Wildtiere] (ONCFS). 2018. Connaître les espèces et leurs habitats, le loup [Kennenlernen der Arten und ihrer Lebensräume; der Wolf] ONCFS. Online, Link.
4] Tack, J. 2018. Les populations de sangliers (Sus scrofa) en Europe : examen scientifique de l’évolution des populations et des conséquences sur leur gestion [Wildschweinpopulationen (Sus scrofa) in Europa: Wissenschaftliche Untersuchung der Populationsentwicklung und der Folgen für ihr Management] European Landowners‘ Organization, Brüssel, 56 S.
5] Papy, F. Mathieu, N., Ferault, C. 2012. Nouveaux rapports à la nature dans les campagnes [Neue Beziehungen zur Natur auf dem Land]. Ed. Quae. Versailles. 191 S.
6] Lévèque, C. 2017. La biodiversité avec ou sans l’homme? [Biodiversität mit oder ohne Menschen?] Ed Quae. Versailles. 128 S.
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