Oliver Luksic, Bundesparlamentarier für die FDP, ist Autor des gerade erschienen Buches Die Angst-Unternehmer: Wie die neue Polarisierung die offene Gesellschaft gefährdet (Verlag wbg Darmstadt, ISBN 978-3-8062-0094-2). The European Scientist hat mit dem Autor ein exklusives Interview geführt.
The European Scientist : Oliver Luksic, Sie haben Die Angst-Unternehmer geschrieben. Wer sind diese Unternehmer und welche Ziele verfolgen sie?
Luksic: Greta und Trump sind beide Angst-Unternehmer, deren politisches Geschäftsmodell auf Angst und Polarisierung basiert. Der gefühlte Kontrollverlust verbindet Migrations- und Klimadebatte, linke und rechte „Emotionalität“ und Empörung. Angst-Unternehmer finden wir heute leider immer häufiger. Sie setzen auf Empörung und Unsicherheit um ihre Ziele zu erreichen, Panikmache statt Rationalität. Gerade in der Politik wird das leider immer mehr zum Trend. Stellvertretend hierfür sind Greta Thunberg und Donald Trump. Egal ob Migration oder Klima, dauerhafte Empörung und apokalyptische Fantasien sind so wirkmächtig wie lange nicht mehr.
TES : Empörung ist zur Hauptemotion jeder medialen Debatte geworden. Wie kann es sein, dass Rationalität dermaßen untergraben wird?
Luksic: Wir sehen heute ein stückweit eine Romantik der Gegenwart, ein neues Zeitalter des Irrationalismus. Gerade in Deutschland muss man sich bewusst sein, wie schnell aus Idealismus Ideologie werden kann. Das wir in Debatten nun immer häufiger den Blick auf die rationale Sach-Ebene verlieren, schadet der liberalen Demokratie. Gewinner sind jene, die am lautesten schreien, die politischen Ränder. „Emotio schlägt Ratio“. Eine neue Identitätskultur führt zu eine moralisch aufgeladenen, aggressiven Diskurs. Diese neue Empörungskultur wird medial und durch soziale Netzwerke verstärkt. „Entpörung“ als rationale Distanz ist notwendig.
TES : Sie sprechen über „grünen Puritanismus.“ Was meinen Sie damit und was besorgt Sie daran? Sie sagen außerdem: „Die Faszination an Untergang und Endzeit ist ein inhärentes Merkmal der Umweltbewegung, vor allem in Deutschland.“ Warum vor allem in dort?
Luksic: Der neue, grüne Puritanismus findet sich in der aggressiven Scham, mit der heute jedwede Art von Konsum bedacht wird. Flug-, Fleisch- oder Autoscham sollen im Namen einer grünen Weltrettung zur Askese führen. Das ist nicht nur reinste Kapitalismuskritik, sondern spaltet auch die Gesellschaft. Die Deutschen haben einen besonderen Hang zu Rigorismus und Radikalität, der von Luther und der Romantik geprägt wird. Der Ökologismus wird zu einer neuen Ersatzreligion. Die Faszination an Untergang und Endzeit ist ein inhärentes Merkmal der Umweltbewegung, vor allem in Deutschland. Laut dem französischen Anthropologen Pierre-Yves Gaudard ist gerade dieser Fatalismus ein wiederkehrendes Thema deutscher Kultur.
TES : Denken Sie, dass in der Gesellschaft die Wissenschaft und das Erbe der Aufklärung bedroht sind?
Luksic: Bei Wissenschaft und Empirie neigen wir als Gesellschaft leider häufig zur Rosinenpickerei. Sachlichkeit ist zwar erst einmal erwünscht, aber wenn die „falschen“ Wahrheiten, etwa zu Atom, Genetik oder Homöopathie herauskommen, dann wird da ganz schnell mobil gemacht. Gleichzeitig bemerken wir eine Emotionalisierung auch der Wissenschaft, gerade beim Thema Klima. Der Siegeszug von Aufklärung, Wissenschaft und Fortschritt wird gefährdet durch Irrationalismus und Romantik. Rationale Distanz ist notwendig als Gegengewicht zu Populismus und Radikalismus.
TES : Haben Sie den Eindruck, dass Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages die Fähigkeit haben, die Richtung, in der sich die Gesellschaft sowie das Debattenklima entwickelt, beeinflussen zu können oder zumindest dazu beitragen, dass es sich nicht verschlechtert?
Luksic: Als Abgeordneter hat man viele Möglichkeiten, um auf Probleme hinzuweisen. Grundsätzlich kann aber jeder aktiv werden. Sachliche, statt emotionalisierte, Debatten und Kompromissbereitschaft müssen wieder einen höheren Stellenwert erlangen. So verbessert sich nicht nur die Unterhaltung, sondern wir stärken auch den Zusammenhalt der Gesellschaft. Sowohl Hass-Prediger von rechts als auch Dauer-Empörte von links tragen zur ständigen Spirale der Polarisierung bei.
TES : Denken Sie, dass das Europa-Parlament in Brüssel genügend in die Zukunft Europas investiert? So lautet ein aktuelles Sprichwort, dass Amerika erfindet, China kopiert und Europa reguliert – ist dies bloß eine Karikatur oder eine akkurate Beschreibung der Realität, mit der sich Europa konfrontiert sieht?
Luksic: An dem Sprichwort ist etwas dran, aber China erfindet auch immer mehr. Europa fällt zurück in Sachen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Die Lissabon-Agenda wurde nie konsequent umgesetzt. Es gibt zu viele andere, teilweise gegensätzlich Schwerpunkte.
TES : Die EU hat 13 Milliarden Euro für die ESA und 14 Milliarden Euro für die Verteidigungsindustrie ausgegeben. Gleichzeitig haben europäische Start-ups rund 34 Milliarden Euro an Risikokapital eingesammelt – ein neuer Rekord. Sehen Sie diese Entwicklung als positiv oder Zeichen dafür, dass Europa genug für Innovation unserer Industrien tut?
Luksic: Investitionen in Zukunftsthemen begrüße ich. Allerdings liegt Europa noch weit hinter der Konkurrenz zurück. Laut einer McKinsey-Studie wurden in 2018 85 Milliarden Dollar an Wagniskapital in den USA investiert. In Deutschland waren es zeitgleich nur 3 Milliarden Dollar. Überregulierung, fehlende Anreize und Bürokratismus kosten uns jedes Jahr innovative Ideen und fortschrittliche Anwendungen. Hier müssen sowohl die EU als auch die Bundesregierung noch aktiver werden, um Chancen möglich zu machen. Problematisch sehe ich den Ansatz von Green Finance und Green Quantitative Easing (QE). Eine grüne Geldpolitik wird die Unabhängigkeit der EZB untergraben. Wären Investitionen in Kernkraft grün? Das sehen Deutschland und Frankreich anders. Nicht nur autoritäre Politiker, wie Trump oder Erdogan, gefährden die Unabhängigkeit der Notenbanken, sondern auch grüne Aktivisten.