Gene definieren, wer oder was wir sind. Dabei unterscheidet sich der Mensch letztlich nur geringfügig von den Schimpansen, die in der Tierwelt die nächsten Verwandten repräsentieren: Ungefähr 98,5 Prozent des Erbguts sind identisch. Forschende entdeckten nun 155 Gene im menschlichen Erbgut, die im Laufe der Evolution vollkommen neu und ohne Vorgänger-Gen entstanden sind. Einige von ihnen könnten gar im Zusammenhang mit Krankheiten stehen, die Menschen zu eigen sind. Die Wissenschaftler vom griechischen Forschungsinstitut „Alexander Fleming“ veröffentlichten ihre Forschungsergebnisse im Fachjournal „Cell Reports“.
Rückverfolgung im evolutionären Stammbaum
Mikrogene sind winzig, weshalb sich ihre Untersuchung relativ kompliziert gestaltet. Deswegen wurde ihre Erforschung für lange Zeit aufgeschoben, obwohl ihre Wichtigkeit für die Funktion des Körpers längst bekannt war. Eine Gruppe von Wissenschaftlern rund um Nikolaos Vakirlis und seiner Kollegin Zoe Vance machten es sich zur Aufgabe, das zu ändern. „Das Projekt startete 2017 aufgrund von Interesse an der Genevolution und daran, woher diese Gene stammen“, so Vakirlis, „es wurde für einige Zeit auf Eis gelegt, bis eine andere Studie mit sehr interessanten Daten veröffentlicht wurde. Dadurch konnten wir mit dieser Studie starten.“
Die Forschenden verwendeten die neuen Informationen von einigen funktionellen Genen und stellten eine Rückverfolgung im evolutionären Stammbaum an. Von einer Vielzahl an Mikrogenen, deren Evolution so ausgewertet werden konnten, waren 155 Exemplare besonders interessant.
Die meisten neuen Gene entstehen aus einem bereits vorhandenen, indem dieses verdoppelt wird. Doch manchmal bildet sich ein Gen fast aus dem Nichts, ohne dass ein solches „Vorläufer-Gen“ vorhanden ist. „Es war sehr aufregend, an etwas so Neuem zu arbeiten“, sagt Co-Autorin Aoife McLysaght „wenn man in so kleine Teile der DNA blickt, ist die Interpretation von einer Genomsequenz wirklich sehr schwierig. Man weiß nicht, ob sie biologisch eine Bedeutung haben.“ Der nächste Schritt war für die Wissenschaftler dementsprechend klar: Sie wollten herausfinden, ob diese 155 Gene einen Einfluss auf uns haben.
Direkte Untersuchungen durch Tierversuche nicht möglich
Bei 44 der 155 Exemplare wurde ein Zusammenhang mit Wachstumsstörungen von Zellgewebe gefunden. Sie könnten daher für die humane Gesundheit eine Rolle spielen. Da diese Gene spezifisch für Menschen sind, ist die direkte Erforschung durch Tierversuche nicht möglich. Daher wendeten die Wissenschaftler DNA-Muster an, die mit gewissen Krankheiten assoziiert werden. Auf diesem Weg konnten sie feststellen, dass drei Gene eine Rolle bei gewissen Erkrankungen – unter anderem Muskeldystrophie – einnehmen könnten. „In weiterführenden Untersuchungen wollen wir genauer herausfinden, was diese Mikrogene machen und ob sie direkt in einer der Erkrankungen involviert sind“, kommentiert Vakirlis das weitere Vorgehen.
Außerdem entdeckten die Forschenden ein Gen, das tatsächlich erst im Menschen entstanden sein musste. Es steht im Zusammenhang mit dem Aufbau von Herzmuskelgewebe, was zeige, wie schnell ein Gen Einfluss auf das Überleben einer Spezies nehmen kann.
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