Bisher hatten Mediziner nur wenig Möglichkeiten einzuschätzen, wie schwer die Covid-19-Erkrankung eines Patienten ist oder sein wird. Ein Team von Forschern der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) in München hat jetzt ein Molekül entdeckt, mit dem eine Vorhersage über den Schweregrad einer Erkrankung getroffen werden kann. In dieser Funktion sei der neue Marker sensibler als die bisher genutzten, wie die Wissenschaftler berichten. In einem Bericht, den das Team im Fachjournal „Journal of Extracellular Vesicles“ am 01. Dezember veröffentlichte, wird die Bedeutung des neuen Markers beschrieben.
Patienten sterben nicht an Virus direkt
Erkrankt ein Mensch am neuartigen Coronavirus, kann der Verlauf der Krankheit ganz unterschiedliche Formen annehmen. Während vor allem jüngere Menschen die Infektion oft nicht einmal bemerken, schädigt der Eindringling in anderen Fällen den Körper schwer. Neben der Lunge hat das SARS-CoV-2-Virus auch Auswirkungen auf Gefäße und schädigt deren Oberfläche. Dadurch werden Blutplättchen, die in der Blutgerinnung eine zentrale Rolle spielen, zu großen Zahlen aktiviert. Die aktivierten Plättchen können wiederum zusammenkleben und so Gerinnsel oder Thrombosen verursachen. Außerdem beobachten Ärzte immer häufiger ein paradoxes Bild des Immunsystems in schwer Erkrankten: Trotz Infektion ist die Zahl an Immunzellen der Lymphozyten niedrig. Genau diese Mechanismen sind es auch, die Erkrankte letztendlich das Leben kosten.
Um eine bessere Einschätzung über den Schweregrad der Erkrankung treffen zu können, untersuchte das Team von Wissenschaftlern der LMU um Lisa Rausch ein Molekül, das in der Zukunft die Diagnose der Erkrankung verbessern könnte. Das Phosphatidylserin findet sich im Körper normalerweise an der Innenseite von Zellwänden. Werden diese geschädigt, kann es auf die Außenseite gelangen und dort mit anderen Proteinen oder Bestandteilen des Gerinnungssystems interagieren.
Molekül zeigt Schwere der Erkrankung an
Mit einem selbst entwickelten Test untersuchten die Forscher das Blut von 54 Covid-19-Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden der Erkrankung. Um die Ergebnisse zu vergleichen, nahm das Team Blutproben von 35 gesunden und 12 genesenen Patienten als Kontrolle. Die Immunzellen aus den Proben wurden mithilfe von Durchflusszytometrie auf Phosphatidylserin untersucht. Gleichzeitig wurden mikroskopische Bilder der Zellen erstellt, um festzustellen, wo sich das Molekül in den Zellen befindet. Dabei stellte sich heraus, dass das Molekül nicht an seinem Platz in der Zelle zu finden war, sondern außerhalb der Zellwand. Weiterhin war diese überzogen mit Fragmenten von Blutplättchen, die wiederum weitere Gerinnungsprozesse anstoßen können. „Damit könnte Phosphatidylserin als Signalgeber für fehlgeleitete entzündliche Prozesse oder Störungen der Blutgerinnung bei COVID-19 dienen, sprich typische Veränderungen bei COVID-19 triggern“, vermutet der Biomediziner Prof. Dr. Thomas Brocker in einem Bericht der LMU.
Auch einen Zusammenhang zwischen dem besagten Molekül und dem Schweregrad der Erkrankung konnten die Forscher in ihren Ergebnissen festhalten. Erhöhte Levels von Phosphatidylserin waren so in Patienten zu finden, die mit einer schweren Erkrankung zu kämpfen hatten oder in Patienten, denen diese noch bevorstand. „Als Marker übertraf Phosphatidylserin etablierte Labormarker für Entzündungsvorgänge im Körper, für Leukozyten und für Gerinnungsfaktoren, die momentan zur klinischen Bewertung von COVID-19 herangezogen werden“, erklärt Brocker. Für einen großflächigen Einsatz zum Screening gibt es allerdings noch einige Hürden. Das Vorgehen der Münchner Forscher ist momentan nur in Forschungslaboren möglich, die Durchflusszytometrie, gekoppelt mit der Aufnahme von mikroskopischen Bildern, durchführen können. In weiteren Versuchen möchte das Team deshalb jetzt herausfinden, ob die Werte auch mit einem normalen Durchflusszytometer bestimmt werden können, das in den Laboren vieler anderer Krankenhäuser zu finden ist.
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