Seit einigen Jahren gilt nicht mehr Fett, sondern Zucker als der gefährlichste Dickmacher. Warben große Lebensmittel-Hersteller zuvor gerne mit dem Etikett „Fettreduziert“ um die Gunst gesundheitsbewusster Verbraucher, so findet man auf den Verpackungen nun umso öfter die Angabe „Zuckerreduziert“. Dieses Verkaufsargument zieht umso mehr, als viele Verbraucher inzwischen durch die audiovisuellen Massenmedien darüber aufgeklärt worden sind, dass in „Light“-Fertigprodukten Fett als wichtigster Geschmacksträger oft durch Zucker ersetzt wurde, um zu vermeiden, dass diese fade schmecken. In der Regel wird in diesen Produkten allerdings nicht einfach Zucker weggelassen, sondern durch künstliche Süßstoffe wie Aspartam, Neotam oder Saccharin ersetzt.
Darauf finden sich aber in der Regel nur im Kleingedruckten Hinweise, da künstliche Süßstoffe schon seit vielen Jahren eine schlechte Presse haben. Es sind darüber etliche mehr oder weniger wilde Spekulationen über Krebsgefahren im Umlauf. Die amerikanische Kinderärztin und Molekularbiologin Carissa Baker-Smith von der University of Maryland hat sich die Mühe gemacht, all diese Spekulationen anhand der darüber verfügbaren wissenschaftlichen Literatur kritisch zu überprüfen. In ihrer im November 2019 im Fachmagazin „Pediatrics“ veröffentlichten Synthese kommt Carissa Baker-Smith zum Schluss, dass der Krebsverdacht gegenüber Stoffen wie Aspartam, Saccharin oder Cyclamat nur schwach begründet ist. Bedenklich sei nur ihr exzessiver Konsum. Das aber gilt für alle Stoffe, selbst für Wasser.
Was das Risiko von Übergewicht und Diabetes anbelangt, stellt sich die Situation nach dem Urteil der Autorin freilich ganz anders dar. Der Ersatz von Zucker durch kalorienfreie künstliche Süßstoffe sollte diesen Risiken ja gerade vorbeugen. Das aber geschieht offenbar nicht. Um der Frage nachzugehen, was die Süßstoffe bewirken, hat Susan Swithers von der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana ein fünfjähriges Experiment mit insgesamt 7000 Kindern durchgeführt. Eine Gruppe bekam zuckerhaltige Limonade, eine zweite Gruppe künstlich gesüßte Softdrinks und eine dritte Gruppe beides durcheinander. Alle drei Gruppen nahmen deutlich mehr Kalorien zu sich als die Kontrollgruppe, die nur Wasser zum Trinken bekam. Die meisten Kalorien absorbierten die Kinder, die nach dem Zufallsprinzip wechselweise Limonade mit Zucker oder mit Süßstoff tranken. Das entspricht am ehesten den Verhältnissen im Alltag.
Offenbar hatte das Trinken von kalorienfrei gesüßten Getränken den Hunger der Kinder nach Kalorienhaltigem sogar verstärkt, weil die Aufnahme von Süßstoffen dem Körper etwas verspricht, aber nicht liefert . Die Bachspeicheldrüse (Pankreas) lernt mit der Zeit in Form der klassischen Konditionierung wie ein Pawlowscher Hund, Süßes nicht mehr mit der Ausschüttung von Insulin zu beantworten. So kann es zu einem ungesunden Ansteigen der Blutzucker-Konzentration kommen und in deren Folge zu Übergewicht und Diabetes.
Swithers und Baker-Smith folgern daraus, dass es, um gesund zu bleiben, wohl besser ist, dem Organismus die Lust auf Süßes ganz abzutrainieren, als ihn durch kalorienfreie Süßstoffe zu täuschen zu versuchen. „Süßes sollte wieder zur Ausnahme im Speiseplan werden und nicht mehr als Standard für jede Speise und jedes Getränk gelten“, betont Carissa Baker-Smith. Aufgrund der Erfahrung in ihrer eigenen Familie fügt sie hinzu, Verbote seien nicht der richtige Weg, dahin zu gelangen. Vielmehr müsse man es erreichen, Süßes als einen besonderen Höhepunkt seltener Feste zu betrachten.