Das Fossil einer bislang unbekannten Spezies wurde in Spanien entdeckt. Die Überreste weisen auf ein Tier mit einer Länge von 3,74 Metern hin. Damit ist die Leviathanochelys aenigmatica rund ein Drittel größer als die größte heute noch lebende Schildkröte der Welt.
Einzigartige Morphologie deutet auf unbekannte Spezies hin
Die heute lebende Lederschildkröte kann in Ausnahmefällen bis zu 2,5 Meter groß werden, die meisten Exemplare messen aber nicht mehr als zwei Meter. Sie leben in tropischen und subtropischen Gebieten und halten sich am liebsten im flachen Meer auf. Bisher nahmen Wissenschaftler an, dass keine in Europa heimische Schildkröte diese Größe jemals erreicht hatte. Doch vier spanischsprachige Wissenschaftler publizierten nun im Fachjournal „Scientific Reports“ die Beschreibung einer neu gefundenen, ausgestorbenen Meeresschildkröte, die überdimensionale Ausmaße annahm: Das Tier war fast 4 Meter lang und somit die zweitgrößte Schildkröte, die jemals entdeckt wurde.
Das Fossil wurde im Nordosten Spaniens, im Ort Cal Torrades, gefunden. „Die Überraschung war groß. Die Reste von marinen Reptilien sind in den Pyrenäen selten – ganz zu schweigen von solchen Dimensionen“, erklärt Erstautor Oscar Castillo-Visa in einer Pressemitteilung. Der Körper ist nicht vollständig erhalten, trotzdem konnten die Wissenschaftler aufgrund der vorhandenen Fragmente die Größe bestimmen. Die Berechnungen erarbeiteten sie anhand des gefundenen Beckens, auch die erhaltenen Teile des Oberpanzers halfen bei der genauen Bestimmung.
Das Becken der Meeresschildkröte weise eine interessante Form auf, die bei keiner heutigen Schildkrötenart zu finden ist. Deshalb könne man annehmen, dass es sich bei dem Tier um einen Vertreter einer bisher unbekannten Schildkrötengruppe handelt. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich die Form durch ein außergewöhnliches Atmungssystem entwickelt haben muss. Bestätigt ist diese Theorie bislang allerdings noch nicht.
Aufgrund ihrer Größe und dieser körperlichen Besonderheit bekam sie ihren Namen. Einerseits leitet sich Leviathanochelys aenigmatica vom Wort rätselhaft („aenigmatica“), andererseits von Leviathan, einer mythologischen Bestie, ab. Datiert wurde der Fund auf ein Alter von 72,1 bis 83,6 Millionen Jahren, die Schildkröte lebte somit in der Kreidezeit zusammen mit Dinosauriern und gigantischen Meeresbewohnern.
Gigantische Ausmaße auch in den USA
Gigantismus, also übergroßes Wachstum, war bislang primär bei Meeresschildkröten aus Amerika zu beobachten. In South Dakota wurde in den 1970er-Jahren ein Fossil entdeckt, das nach wie vor als das größte und gleichzeitig vollständigste Schildkrötenskelett der Welt gilt. Heute befindet es sich im Naturhistorischen Museum Wien. Das Tier gehörte zur Gattung Archelon, die bis zu 4,5 Meter lang und bei ausgestreckten Füßen vier Meter breit werden konnte. Sie lebten in tropischen Gebieten, wohl nahe Korallenriffen, ungefähr zur gleichen Zeit wie die in Spanien gefundene Meeresschildkröte. Das neue Fossil deutet darauf hin, dass Gigantismus in Schildkröten in den USA und Europa unabhängig voneinander entstand.
Bisher nahm man an, dass sich die enorme Größe aufgrund des Schutzes vor Raubtieren ausbildete. Doch diese Theorie könnte durch den Fund der größten europäischen Schildkröte umgeworfen werden: Womöglich herrschten auf der gesamten Erde seinerzeit noch unbekannte Umweltkonditionen, die Gigantismus begünstigten.
Artikel von Anna Mikulics, Bild von Андрей Корман auf Pixabay