Erst Ende Mai veröffentlichten Forscher vom Berliner Charité eine Erhebung, mit dem Fazit der Autoren, dass Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene sind. Im Angesicht der Pandemie seien Schließungen von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen daher das Mittel der Wahl. Eine am Dienstag veröffentlichte Studie, welche vom Land Baden-Württemberg beauftragt wurde, vermittelt ein konträres Bild. Demnach sei es möglich, den Betrieb in den Kindergärten und Schulen wieder hochzufahren.
Bereits vor acht Wochen gab die Landesregierung eine Screening-Studie in Auftrag, bei der sich die Universitätskliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen sowie Ulm beteiligten. Insgesamt wurden 2.500 Kinder und 2.500 Elternteile untersucht. Insgesamt seien Kinder seltener an Covid-19 erkrankt. Die Forscher betonen, dass die Ergebnisse statistisch hoch signifikant sind.
Kinder im Alter zwischen 1 und 5 Jahren waren deutlich seltener infiziert als jene zwischen 6 und 10. Insgesamt hatten unter den 5.000 Probanden 64 Individuen Antikörper, die auf einen bewältigten Corona-Krankheitsverlauf hinweisen. Unter diesen 64 Getesteten befanden sich wiederum 45 Elternteile und nur 19 Kinder.
Baden-Württemberg hält Schulöffnungen für angemessen
Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Abteiligungsleiter Virologie am Heidelberger Universitätsklinikum, ordnet die Studienergebnisse ein: „Als wichtigste Ergebnisse zeigt die vorläufige Auswertung der Studie, dass in den untersuchten Familien nur eine geringe Zahl von Infektionen stattgefunden hat und Kinder anscheinend nicht nur seltener an Covid-19 erkranken, was schon länger bekannt ist, sondern auch seltener […] infiziert werden“.
Ministerpräsident Kretschmann betonte indes, dass die Kindertagesstätten und Grundschule auf Grundlage der Studienergebnisse rasch in eine neue Phase starten könnten. Der Regelbetrieb soll bereits vor den Sommerferien wieder aufgenommen werden. Dies habe den Vorteil, so Kretschmann, dass weitere Untersuchungen durchgeführt werden könnten. Dies wiederum werde „helfen, uns intensiv auf das neue Schul- und Kindergartenjahr ab September vorzubereiten“.
Kein Konsens unter Wissenschaftlern
Virologe Christian Drosten vertritt hingegen nach wie vor die Auffassung, dass es nicht ratsam sei, alle Einrichtungen wieder komplett zu öffnen. Die Anzahl der Viren, die sich in den Atemwegen nachweisen lassen, unterscheide sich nicht nach Altersgruppe, so die Ergebnisse der Charité Studie. Dass Kinder seltener Infiziert seien, liege vielmehr daran, dass Schulen frühzeitig geschlossen wurden. Eine voreilige Wiederaufnahme des Schulbetriebs könne die erreichten Erfolge konterkarieren, so seine Ausführungen.
Eine bundesweit durchgeführte Corona-Antikörperstudie soll weitere Informationen ans Tageslicht bringen. Ab Juli führt das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung erste Blutproben durch. Insgesamt zeigt sich dieser Tage, dass Virologen und Wissenschaftler durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die größte Kluft offenbart sich hierbei bei der Bewertung der einzuleitenden Maßnahmen. Während der Virologe Hendrik Streek den Nutzen des durchgeführten Lockdowns in Frage stellt, äußern andere Experten, dass dieser nach wie vor nötig sei.
Diskussionen um das Für und Wider werden womöglich noch länger anhalten. Ein Blick auf Schweden macht jedoch deutlich, dass ein geringes Maß an Restriktionen durchaus Probleme nach sich ziehen kann. Dennoch: ob die Ausgangsbeschränkungen und Sanktionen verhältnismäßig waren, wird sich womöglich erst in Monaten oder Jahren abschließend beurteilen lassen.