
Für zahlreiche junge Familien wurden die letzten Wochen und Monate zur Belastungsprobe: so galt es, den Nachwuchs zu unterrichten, anstatt dies den Bildungseinrichtungen zu überlassen. Unterschiedliche Forscher durchleuchteten die Vor- und Nachteile des sogenannten „Homeschooling“. Dabei traten ambivalente Ergebnisse zutage – während andere die Doppelbelastung beklagen, sehen andere sogar Chancen. Ein Überblick.
Nach den Ergebnissen der bundesweit größten Elternbefragung von Grundschulkindern, angeleitet von Prof. Dr. Raphaela Porsch, handelt es sich bei dem Homeschooling um ein zweischneidiges Schwert, um eine „familiäre Ausnahmesituation mit Potenzial“. Demnach sei die Situation dann belastend, wenn es an Unterstützung seitens der Schule mangle, oder die Ressourcen der Eltern eine optimale Unterrichtungsvorbereitung von zuhause aus nicht zulasse.
Die Auswertung zeigt weiterhin, dass an fast allen Grundschulen Aufgaben in den Fächern Mathematik und Deutsch zur Verfügung gestellt wurden. Auch Angebote zum Sachunterricht wurden an 66 Prozent der Schulen gegeben. Andere Fächer jedoch, so die Forscher, wurden eher zurückgestellt. Durchschnittlich verbrachten die Kinder zwischen dem 25. März und 25. April täglich zwei bis drei Stunden Zeit mit den Lernaufgaben. Rund die Hälfte der Befragten gab an, die Betreuung der schulpflichtigen Kinder alleine zu übernehmen – bei der anderen Hälfte teilten sich die Erziehungsberechtigten die Aufgabe.
Vorteile und Nachteile
Insgesamt sei offenkundig geworden, dass die Situation ein großes Konfliktpotenzial berge. Einige Familien berichteten von Zerwürfnissen und Belastungen. Allerdings stünden demgegenüber auch Chancen: „Viele Eltern bekamen während der Betreuung ihrer Kinder einen intensiven Einblick in den Lernstand, das Handeln der Lehrkräfte und den behandelten Unterrichtsstoff. Das könnte für die Zukunft zu mehr Kooperationen der Lehrkräfte und Eltern führen“, wie Prof. Dr. Porsch konstatiert.
Es sei so gewesen, dass die Eltern die Situation sehr unterschiedlich wahrgenommen haben. Während die einen die Herausforderungen betonen, äußern sich andere begeistert. „War die Unterstützung der Schule gut und hatten die Eltern das Gefühl, den Kindern helfen zu können, wurde die Belastung als deutlich niedriger eingestuft“, so ihr Fazit.
Auch Erziehungswissenschaftlerin Anja Wildemann und Psychologe Ingmar Hosenfeld von der Uni Koblenz-Landau befragten über vier Wochen hinweg Eltern, welche im Angesicht der Corona-Krise auf Homeschooling zurückgreifen mussten. Rund ein Viertel der Eltern gaben hierbei an, dass die schulische Betreuung die Beziehung zu den Kindern belaste. Unterdessen betonen die Forscher, dass die Dunkelziffer womöglich noch höher sei, da problematische Beziehungen verschwiegen werden könnten. Man spricht hierbei in den Sozialwissenschaften von Sozialer Erwünschtheit – der Tendenz, Antworten zu geben, die eher auf soziale Zustimmung stoßen.
Homeschooling könnte Gesellschaft noch ungleicher machen
Fernab der individuellen Belastung für Familien besteht die Gefahr, dass die Chancengleichheit durch den Unterricht von zuhause aus verringert wird. Während einige Eltern nicht die Zeit für eine adäquate Lernstoff-Vermittlung haben, sehen sich andere dazu gar nicht befähigt. Insbesondere alleinerziehende Mütter und Väter laufen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten, da die Aufgabe nebst Beruf schwer zu Schultern ist. Es bestehe das Risiko, so Bildungsexpertin Wildemann gegenüber dem „SWR“, dass sich die Bildungsschere vergrößere.
Auch die ARD-Redakteure Jonas Schreijäg sowie Birgit Wärnke konstatieren, das Homeschooling „das Ende der Chancengleichheit“ sei. Insbesondere sozial schwächere Schüler könnten darunter leiden.
Als Sofortreaktion auf die Covid-19-Pandemie mögen die Maßnahmen sinnvoll gewesen sein. Allerdings gilt es, Vor- und Nachteile genau zu evaluieren – zumindest gesetzt dem Fall, dass einige Elemente der Lernform auch über die Krise hinaus Anwendung finden sollten.