Dass es unter dem antarktischen Eis weitaus mehr Leben gibt, als Forscher bisher vermutet hatten, zeigt jetzt ein Bericht von einem Team des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) aus Bremerhaven. In Proben aus Bohrungen im Schelfeis fanden die Wissenschaftler eine überraschende Zahl von 77 Tierarten, die unter der gefrorenen Decke leben. Ihren Bericht veröffentlichten die Forscher jetzt im Fachjournal „Current Biology„.
Mehr Lebewesen unter dem Eis als im umliegenden Meerwasser
Es ist nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler ein buntes Ökosystem an Lebewesen vorfinden, an Orten, wo sie es am wenigsten vermutet haben. So auch unter dem fast 200 Meter dicken Ekström-Schelfeis, das im südöstlichen Weddellmeer liegt. Die Forscher des AWI und Helmholtz-Instituts für Polar- und Meeresforschung, die in Zusammenarbeit mit der British Antartic Suvery in der Nähe der Neumayer-Station III die Umgebung untersuchten, bohrten mithilfe von heißem Wasser zwei Löcher, die unter die dicke Eisdecke langten. Da diese Bohrlöcher viele Kilometer vom offenen Meer entfernt waren, waren die Erwartungen auf ein reiches Ökosystem an Lebewesen nicht besonders groß.
Doch die Proben überraschten die Forscher. 77 verschiedene Arten konnte das Team entdecken und dokumentieren. Unter den gesammelten Exemplaren fanden sich zum Beispiel säbelförmige Bryozyten (Moostierchen), sowie serpulide Würmer, und zwar in größerer Zahl als irgendwo sonst in der Umgebung bisher nachgewiesen. Paradoxerweise scheint das Leben unter dem hunderte von Meter dicken Eis mehr zu florieren als in Proben aus dem freien Meerwasser, obwohl es dort Sonnenlicht und ausreichend Nahrung für alle gibt.
Womit ernähren sich Lebewesen in absoluter Dunkelheit?
Die Forscher waren von der Artenvielfalt überrascht, da die Nahrung am Meeresboden knapp ist. Durch das dicke Eis kann kein Sonnenlicht dringen und so gibt es keine Pflanzen am Meeresboden, die durch Fotosynthese Energie produzieren und Nahrung für die Tiere darstellen könnten . Der Meeresbiologe und Autor des Berichts, Dr. David Barnes, der British Antartic Suvery, erklärte in einer Pressemitteilung des AWI: „Die Entdeckung von so viel Leben unter diesen extremen Bedingungen ist eine völlige Überraschung und erinnert uns daran, wie einzigartig und besonders die antarktische Meeresfauna ist. Es ist erstaunlich, dass wir Nachweise für so viele Tierarten gefunden haben, von denen sich die meisten von Mikroalgen (Phytoplankton) ernähren, obwohl keine Pflanzen oder Algen in dieser Umgebung leben können. Die große Frage lautet also: Wie können diese Tiere hier überleben und gedeihen?“
Die Forscher schlussfolgerten, dass durch Strömungen im umliegenden Meer eine ausreichende Menge an Algen und Plankton unter das Eis gespült wird, dass die große Zahl an Arten ernähren kann. Bei Vergleich des Wachstums von vier der gefundenen Arten mit Proben aus den offenen Gewässern, zeigte sich ein ähnliches Bild.
6000 Jahre alte Oase
Auch das Alter, dass das Unterwasser-Ökosystem aufweisen kann, überraschte die Wissenschaftler, wie der AWI-Forscher und Co-Autor Dr. Gerhard Kuhn in der Pressemitteilung erläutert. „Die Kohlenstoffdatierung von Fragmenten dieser Meeresbodentiere aus den Oberflächensedimenten erstreckt sich von heute bis zu einem Alter von 5800 Jahren. Obwohl die Tiere drei bis neun Kilometer vom nächsten offenen Wasser entfernt leben, könnte also seit fast 6000 Jahren eine Oase des Lebens unter dem Schelfeis existieren. Nur Proben vom Meeresboden unter dem schwimmenden Schelfeis werden uns etwas über dessen Vergangenheit erzählen können“
Dass dafür nicht besonders viel Zeit bleibt, merken die Forscher in der Pressemitteilung an. Durch den menschengemachten Klimawandel und das darauffolgende Abschmelzen des Schelfeises, ist die Gefahr eines Zusammenbruchs des Lebensraums unter dem Eis unabwendbar. Falls weitere Erkenntnisse über diesen Naturschauplatz gewonnen werden sollen, muss dies zeitlich passieren.
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Die gigantischen Mengen an Krill locken Wale vieler Arten
an. Da müssen noch mehr Lebewesen sein, die die beson-deren Verhältnisse ausnutzen, denn während über dem
Eis Temperaturen bis 89 Grad Celsius minus herrschen,
lebt man unter dem Eis verhältnismäßig komfortabel. Dies
zu erforschen mag ein zukunftsträchtiges Projekt sein. An
Forschungsstationen vieler Länder mangelt es aber nicht
auf dem Kontinent. Sie könnten zusätzliche Aufgaben wahrnehmen.