Stadtmenschen finden sich offenbar schlechter in komplexen Umgebungen zurecht, als Bewohner vom Land. Dies hat eine neue Studie eines französisch-britischen Forscherteams herausgefunden. Demnach ist der Orientierungssinn des Menschen stark an den Heimatort geknüpft.
Studie mithilfe eines Computerspiels
Für ihre Analyse nutzten die Neurowissenschaftler der Universitäten Lyon, East Anglia und des University College London (UCL) ein Computerspiel. Das Game Sea Hero Quest gibt es kostenlos für Smartphones und Tablets und fordert die Spieler dazu auf, ein Schiff durch virtuelle Landschaften zu steuern. „Zuerst wird den Teilnehmern eine Landkarte gezeigt, aber nur kurz. Danach müssen Sie selbstständig und ohne die Karte mehrere Wegpunkte mit dem Schiff erreichen und so möglichst schnell zum Ziel finden“, so Forschungsleiter Antoine Coutrot gegenüber dem ORF.
Spieler können dabei freiwillig angeben, woher sie stammen und wie alt sie sind. So war es dem Forscherteam möglich, die Daten von rund 400.000 Personen aus 38 Ländern auszuwerten. Sie analysierten entsprechend, wie gut sich die Spieler bei den Aufgaben anstellten. „Ohne das Spiel wäre es kaum möglich gewesen, eine so große Datenmenge zu erhalten“, so der Neurowissenschaftler weiter.
Dabei war das Ergebnis der Studie relativ eindeutig. Menschen, die von ihrem Zuhause ein gitterartiges Straßensystem kennen, haben bei dem Smartphone-Spiel schlechter abgeschnitten, als Spieler vom Land. „Wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass der Orientierungssinn mit fortschreitendem Alter immer weiter abnimmt. Die aktuelle Studie zeigt, dass Personen aus klar strukturierten Städten beim Spiel etwa gleich gut abgeschnitten haben, wie fünf Jahre ältere Personen vom Land“, so Coutrot.
Kindheitserfahrungen wirken sich auf Orientierungssinn aus
Die Forscher erklären sich ihre Resultate mit der wegfallenden Notwendigkeit, bestimmte Wegpunkte in einer Stadt einzuprägen. „Wenn man als Kind in einer Stadt mit Straßen aufwächst, die in einer Art Gitter angelegt sind, muss man keinen besonderen Orientierungssinn entwickeln“. Entsprechend reiche die ungefähre Richtung aus, um dann relativ schnell und unkompliziert zum Ziel zu gelangen. Dies sei auf dem Land nicht so ohne Weiteres möglich.
Zwar bekamen Städter mehr Probleme bei dem virtuellen Gelände, wenn keine klaren Strukturen verfolgt wurden, jedoch schnitten sie umso besser ab, wenn bestimmten Systemen gefolgt werden konnte. „Das ist für uns der Beweis, dass sich unsere Umgebung nicht nur generell auf die Fähigkeit auswirkt, wie gut wir uns orientieren können, sondern dass vor allem die Art, wie wir durch unsere Umgebung navigieren, davon bestimmt wird“, so Courtrot.
Bei ihrer Analyse verfolgten die Wissenschaftler aber nicht nur das Ziel einer Spielanalyse, sondern wollen dabei helfen, Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz effizient entgegenzuwirken. So erhoffen sie sich neue Diagnosewerkzeuge, da gerade der Verlust der Orientierung einer der ersten Anzeichen von derartigen Krankheiten darstelle: „Behandelnde Ärzte könnten zukünftig Symptome von Alzheimer-Patienten anhand der großen Datenbank besser mit Person auf der ganzen Welt vergleichen.“