Eine Erdumdrehung dauert im Allgemeinen 24 Stunden. Am 29. Juni 2022 drehte sich die Erde jedoch schneller als je zuvor. Forscher sehen verschiedene Prozesse wie Windveränderungen und den Chandler-Effekt als mögliche Ursachen.
Neuer Rekord im Atomuhrzeitalter
Am 29. Juni 2022 war die Umdrehung der Erde 1,59 Millisekunden kürzer als 24 Stunden. Seit den Sechzigern messen Wissenschaftler die Rotationsgeschwindigkeit mit Atomuhren. Der letzte kürzeste Tag in der Geschichte der Messungen wurde am 19. Juli 2020 notiert. Wissenschaftler gehen auch in Zukunft von neuen Geschwindigkeitsrekorden aus. „Ich glaube, dass wir immer mal wieder einen so kurzen Tag in den Aufzeichnungen sehen werden“, erklärt Jianli Chen, Geodät von der Polytechnischen Universität in Hongkong, in einem Artikel auf Scientific American. Normalerweise verlangsamt sich die Erdumdrehung, allerdings nur nach und nach und sehr langsam. Daher gibt es das Phänomen der Schaltsekunde. Am 31. Dezember 2016 wurde die letzte Schaltsekunde hinzugefügt. In den vergangenen Jahren hat sich die Erde jedoch wieder etwas schneller gedreht.
Der Begriff der Tageslänge hilft dabei zu definieren, wie schnell oder langsam die Erdrotation vonstattengeht. Diese Tageslänge bezeichnet insofern die Differenz zwischen der Zeit, die die Erde benötigt, um sich einmal um ihre Achse zu drehen. Das sind in der Regel 86.400 Sekunden, was eben den bekannten 24 Stunden entspricht. Wenn die Tageslänge zunimmt, verlangsamt sich die Erde folglich. Wenn sie abnimmt und die Zahl negativ wird, dreht sich die Erde schneller.
Klimaprozesse und Chandler-Wackeln als Ursache für Abwärtstrend
Forscher sind sich bislang noch uneinig über die genauen Ursachen für die schnellere Erdrotation, aber sie haben einige Hinweise gefunden. Insbesondere Winde, Eisschilde oder das Chandler-Wackeln könnten mit den Prozessen im Zusammenhang stehen. So hätten die Jetstream-Winde in der nördlichen Hemisphäre einen Einfluss auf die Umdrehung der Erde. „Immer wenn sie stärker werden, nimmt der Drehimpuls der Atmosphäre zu und der Drehimpuls der festen Erde nimmt ab“, beschreibt Sigrid Böhm, Geodät von der Universität Wien in einem Spektrum Artikel. Der Drehimpuls setzt sich zusammen aus Masse, Geschwindigkeit und Abstand zum Bezugspunkt. Sowohl festes Gestein, Ozeane als auch die Atmosphäre verteilen ständig ihre Masse und ihren Drehimpuls. Dies hat Auswirkungen auf die Rotationsgeschwindigkeit.
Auch durch das Wegschmelzen der Eisschilde komme es zu einer Verkürzung der Tageslänge im Laufe der Zeit. Die Eisschilde bedeckten vor etwa 20 000 Jahren einen Großteil der Nordhalbkugel und durch ihr Verschwinden verschieben sich die Landmassen. Dies beeinflusse wiederum die Drehgeschwindigkeit der Erde. Als dritte Möglichkeit sehen Wissenschaftler das Chandler-Wackeln. Dieses Phänomen entsteht, weil die Erde nicht kugelförmig ist und die Erdachse nicht mit ihrer eigentlichen Symmetrieachse übereinstimmt. Daher versucht sie ihre Rotationsachse immer wieder anzupassen. So kommt es zu kleinen, unregelmäßigen Bewegungen, die die Erde manchmal zittern lässt. „Wir versuchen immer, alle Effekte, die wir kennen, zusammenzufassen und zu sehen, ob wir so das Zeitkonto vervollständigen können“, sagt Böhm. Bis dahin gilt es, den nächsten Rekord abzuwarten.
Artikel von Anne Springwald, Bild von Jonathan Sautter auf Pixabay