Mehrere Wochen lang schien es, als beruhige sich die Lage. Nachrichten über sinkende Reproduktionszahlen und eine weitestgehende Normalisierung des Alltags bestimmten zunehmend den Diskurs. Allerdings zeigen jüngste Ereignisse auf, dass sich die Corona-Krise durchaus noch verschärfen könnte. Ein Überblick.
Die US-Regierung sicherte sich die kompletten Bestände von Remdesivir, wie aus einem am Dienstag veröffentlichten „Guardian“-Artikel hervorgeht. Demnach gehe jedes einzelne Medikament in den nächsten drei Monaten an die Vereinigten Staaten von Amerika. Remdesivir gilt als Hoffnungsträger bei der Behandlung von Covid-19 Patienten. „Wir wollen, so weit es geht, sicherstellen, dass jeder US-amerikanische Patient, der Remdesivir benötigt, es auch bekommen kann“, wie US-Gesundheitsminister Alex Azar äußerte.
Andrew Hill von der Universität Liverpool beäugt die Maßnahme der Trump-Regierung kritisch. Europa habe derzeit keine Möglichkeit, sich relevante Bestände zu sichern. Auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau warnt vor einem Überbietungswettkampf, vielmehr fordert er die Staatengemeinschaft auf, gemeinsam und kooperativ im Interesse aller Bürger zu handeln.
Obgleich auf Remdesivir große Hoffnungen gesetzt werden, liefert die Studienlage noch kein klares Bild. Forscher testeten das Medikament bereits an zwei anderen Coronaviren, namentlich an SARS und MERS. Hierbei konnte gezeigt werden, dass eine prophylaktische Verabreichung Affen vor der Krankheit schützt. Allerdings weisen auch zahlreiche Wissenschaftler darauf hin, dass Remdesivir insbesondere bei Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf ungeeignet sei.
Hunderte Mutationen
Unterdessen äußert Epidemiologe Zeng Guang, seines Zeichens Mitglied der Nationalen Gesundheitskommission Chinas, dass Sars-CoV-2 bereits Hunderte Male mutiert sei. Bei den jüngsten Infektionen in Peking handle es sich um eine neue Variante des Virus. Allerdings gibt es zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine Gewissheit darüber, ob und inwiefern Sars-CoV-2 dadurch gefährlicher für den Menschen wird. Je stärker ein Virus im Umlauf ist, desto höher ist zwar die Wahrscheinlichkeit einer potenziell ungünstigen Mutation. Richard Neher vom Biozentrum Basel hält Panik hingegen für nicht angebracht: „Per se ist erst einmal nicht davon auszugehen, dass das Virus durch einzelne Mutationen gefährlicher wird“. Das Coronavirus sei vergleichsweise stabil und mutiere selten.
Zweite Welle
Nach einer Analyse anhand Daten der Oxford-Universität steuern zehn Staaten auf eine zweite Welle zu – unter anderem auch Deutschland. In jenen Ländern wurden steigende Fallzahlen gegenüber der Vorwoche registriert. In der Bundesrepublik beträgt der Anstieg 36,7 Prozent. Gemäß den Forschern beruhigte sich die Lage in Deutschland im Mai erheblich, allerdings könne hiervon aktuell keine Rede mehr sein. Insbesondere lokale Ausbrüche wie in Göttingen, Berlin-Neukölln und beim Schlachtbetrieb Tönnies seien für diese Entwicklung maßgeblich verantwortlich.
Einiges deutet darauf hin, dass die Corona-Krise noch nicht überstanden ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vermeldete am Sonntag sogar einen Rekordanstieg der weltweiten Fälle. Ob die Zeit für oder gegen die Eindämmung des Virus spricht, wird sich indes erst noch zeigen müssen: einerseits vermelden Forschungseinrichtungen und Pharma-Konzerne Fortschritte bei Studiendurchführungen, andererseits schwebt das Damoklesschwert einer bedrohlichen Mutation. Nach wie vor scheint es empfehlenswert zu sein, nicht in Panik zu verfallen, aber dennoch mit einer gewissen Vorsicht zu agieren.