Bei der vom neuartigen Coronavirus 2019-nCoV (jetzt: SARS-CoV-2) ausgelösten Epidemie mit dem Epizentrum Wuhan in China ist noch keine Entspannung in Sicht. An diesem Wochenende wurden offiziell insgesamt über 900 Todesopfer gemeldet. Mehr als 40.000 Personen haben sich mit dem Virus infiziert. Somit steht fest, dass SARS-CoV-2 mehr Opfer fordert als der mit ihm verwandte Auslöser der SARS-Epidemie im Jahre 2003. Dennoch ist das neue Virus weniger tödlich als sein Vorgänger. Starben an SARS 10 Prozent der Erkrankten, so sind es bei 2019-nCoV nach dem derzeitigen Kenntnisstand höchstens zwei Prozent. Die Erkrankung verläuft bei den meisten Patienten relativ mild. Aber vielleicht gerade deshalb breitet sich das neue Virus schneller aus. Anders als bei der SARS-Epidemie, die nach sechs Monaten wie von selbst in sich zusammenfiel, ist bei der neuen Coronavirus-Epidemie kein Ende abzusehen. Der britische Seuchenexperte Jeremy Farrar vermutet sogar, dass SARS-CoV-2 ein ständiger Begleiter der Menschheit werden könnte wie die saisonale Grippe.
Da die chinesischen Behörden zunächst versucht haben, den Ausbruch der Seuche zu verheimlichen, sind Gegenmaßnahmen um Wochen zu spät angelaufen. Als der Ernst der Lage nicht mehr vertuscht werden konnte, antworteten die chinesischen Behörden mit drakonischen Maßnahmen. In Wuhan und Umgebung wurden seit dem 23. Januar 2020 sukzessive etwa 60 Millionen Chinesen eingeschlossen und streng überwacht. Doch das hat die Verbreitung des Virus nach einer vorläufigen Untersuchung von Huaiyu Tian, Yidan Li, Yonghong Liu et al. nur um knapp drei Tage verzögert. Der Coronavirus wurde in nur 28 Tagen in 262 chinesische Städte verschleppt. Das deutet an, wie schwierig es ist, bei dem heute erreichten Grad weiträumiger wirtschaftlicher Verflechtungen eine Quarantäne durchzusetzen. Jeremy Farrar bezweifelt übrigens, dass die Bewohner westlicher Metropolen wie Paris, München oder Berlin eine wochenlange Abriegelung wie in Wuhan überhaupt hinnehmen würden. Das könne bei uns „eine hochexplosive Lage“ schaffen.
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Reisebeschränkungen heutzutage nur in Ausnahmefällen die Ausbreitung von Epidemien verhindern können. Aktuell gilt das zum Beispiel für Hongkong, das vom chinesischen Festland aus nur über Brücken erreichbar ist, oder für die chinesisch-russische Grenze am Amur. Weltweit müsste man 99 Prozent der Fernreisen verbieten, um die Ausbreitung hochinfektiöser Viren wie H1N1 oder 2019-nCoV verhindern zu können. Das haben die italienischen und französischen Epidemiologen Paolo Bajardi, Chiara Poletto, José J. Ramasco, Michele Tizzoni, Vittoria Colizza und Alessandro Vespignani schon in ihrer Analyse der H1N1-Grippe-Epidemie von 2009 demonstriert. Insofern liegt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wohl richtig, wenn sie zwar den weltweiten Gesundheits-Notstand ausruft, aber gleichzeitig von Beschränkungen des internationalen Austausches von Personen und Waren abrät. Stattdessen setzt die WHO auf „social distancing“ wie vorübergehende Schulschließungen, die Verschiebung von Massenveranstaltungen o.ä. Auch dabei kann sich die WHO auf wissenschaftliche Untersuchungen von Epidemiologen stützen.
Ohnehin geht die Weltwirtschaft infolge des Corona-Ausbruchs in China einer schweren Krise entgegen. Nicht von ungefähr sah sich die chinesische Zentralbank gezwungen, umgerechnet 156 Milliarden Euro frisches Fiat-Money in die Wirtschaft zu pumpen. In Südkorea musste Hyundai das größte Automobilwerk der Welt stilllegen, weil chinesische Partner nicht mehr liefern können. Insbesondere bei Medikamenten wird es mittelfristig zu weltweiten Engpässen kommen, weil inzwischen 80 bis 90 Prozent aller Medikamente ganz oder teilweise (in Form unabdingbarer Vorprodukte) in China und Indien hergestellt werden. Diese Entwicklung gibt jenen recht, die vor einer allzu sorglosen Globalisierung der Wirtschaft gewarnt haben.