Wie in Team von Forschern des University College of London (UCL) jetzt herausfand, zeigte schon die erste neu auftretende Variante des SARS-CoV-2-Virus einen Mechanismus, mithilfe dessen sie den Angriffen des Immunsystems entkommen konnte. Dieser war der Wissenschaft bisher unbekannt und lässt die Forscher die Mechanismen hinter der Infektion besser verstehen. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Team im Fachjournal „Nature„.
Alpha hemmte angeborenes Immunsystem
Wenn ein Krankheitserreger den Angriffen des Immunsystems aus dem Weg gehen kann oder ihren Effekt aufhebt, kann er länger überleben und mehr neue Wirte infizieren. Schon die Variante B.1.1.7, die erstmals im Vereinigten Königreich auftrat und den Namen „Alpha“ erhielt, zeigte Mutationen, die allerdings nicht die Effektivität von Antikörpern minderte, die vorher angenommen. Die sogenannten „Antagonismus-Proteine“ hemmten die erste Linie des Widerstandes des Immunsystems – das angeborene Immunsystem.
Dieses besteht aus verschiedenen Bestandteilen. Alle inneren Körperoberflächen wie Nasenschleimhaut, Rachen oder Magen- und Darmschleimhaut sind von einer Schicht an winzigen Härchen überzogen, die Attacken von Krankheitserregern erkennen und die Zelle dazu verleiten Signalstoffe auszustoßen. Diese Stoffe, die als „Interferone“ bezeichnet werden, setzten eine Kaskade von Reaktion in Gange, die in der Aktivierung der Immunzellen mündet. Genau um diese Aktivierung der Härchen scheint die Alpha-Variante einen Weg herum gefunden zu haben.
Die neu entdeckten „Antagonismus-Proteine“ sind die ersten ihrer Art, die in einem Virus entdeckt worden sind und die erste Mutation, die die Infektiosität des Coronavirus steigert und gleichzeitig nichts mit dem oft erwähnten „Spike-Protein“ zu tun hat. Den Wissenschaftlern zu Folge stellt die Entdeckung einen Durchbruch auf dem Weg dar, die Entwicklung des Virus nachzuvollziehen.
„Wir wollten wissen, was die SARS-CoV-2-Alpha-Variante besonders macht“, sagte die Forschungsleiterin und Ko-Autorin Lucy Thorne des UCL in einer Pressemitteilung der Universität. „Wie hatte es sich aus dem ersten Stamm entwickelt, der im chinesischen Wuhan identifiziert wurde und welche Eigenschaften machten es möglich, dass es die erste Variante wurde, die sich auf der ganzen Welt verbreitete und Besorgnis erregte?“
Virus veränderte sich bis heute extrem
Um die Mechanismen hinter der Infektion besser nachvollziehen zu können, infizierten die Forscher im Labor gezüchtete Lungenzellen, um möglichst große Aussagekraft über menschliche Infektion zu erzielen. Dabei konnten sie beobachten, dass die Interferon-Spiegel in allen Fällen von Infektionen mit der Alpha-Variante niedriger waren als bei vorhergegangen Virusvarianten. „Wir haben herausgefunden, dass es dies macht, indem es Proteine herstellt, die unser angeborenes Immunsystem behindern können. Diese Proteine heißen N, Orf6 und Orf9b und sind als Gegenspieler des angeborenen Immunsystems bekannt“, erklärte Thorne.
Wie die Forscherin weiter erklärte, mache die Unterdrückung der Immunreaktion nach dem Eintritt in den Körper eine Infektion wahrscheinlicher: „Durch die Mutation, die unserem angeborenen Immunsystem entkommt, kann die Alpha-Variante sich in den frühen Stadien der Infektion unter dem Radar verbreiten, was unserer Meinung nach die Chance erhöht, einen Menschen zu infizieren, wenn es in dessen Nase, Rachen oder Lunge landet.“
Den wahren Wert ihrer Entdeckung sieht das Team darin, dass sie nachweisen konnten, wie sehr sich das Coronavirus seit seinem Auftreten schon verändert hat. Einige Mutationen in den regulatorischen Regionen des Erbguts, die die Forscher entdeckt haben, zeigen sich auch in der DNA von neueren Varianten wie „Omikron“ oder „Delta“. Allerdings führen die Forscher diese eher auf Veränderungen im „Spike-Protein“ zurück. „Es wird faszinierend sein zu sehen, wie sich die anderen Varianten, wie Delta und Omikron, im Vergleich dazu in unseren Lungenepithelsystemen verhalten“, fügt Ko-Erstautorin Dr. Ann-Kathrin Reuschl hinzu. „Ob sich Viren auf ähnliche Ansätze zur angeborenen Abwehr verlassen oder ob sie unterschiedliche Strategien entwickelt haben, um die Immunabwehr zu umgehen, wird uns nicht nur etwas über die Viren selbst, sondern auch über die menschliche Biologie lehren.“
Link zur Studie: https://www.nature.com/articles/s41586-021-04352-y
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