
28 Billionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Auf diese unglaubliche Temperatur kamen nun Physiker der Leibniz Universität Hannover, indem sie eine Wolke freier Atome mithilfe eines neuen Verfahrens herunterkühlten. Noch nie gab es ein kälteres Bose-Einstein-Kondensat. Forscher erhoffen sich nun ein mächtiges Werkzeug für das Auffinden von Dunkler Materie.
Ein einheitlich agierendes Feld aus Atomen
Ein Bose-Einstein-Kondensat besteht aus einer Aneinanderreihung von Atomen, die perfekt abgestimmt als einzig großes Feld schwingen. Dabei reagiert diese Atom-Wolke wie ein einzelnes XXL-Atom, was sie für Anwendungen bei hochpräzisen Messungen attraktiv macht. Selbst Gravitationswellen können so sichtbar gemacht werden.
Bislang sind derlei exotische Quantenzustände allerdings äußerst instabil. Je wärmer die Materie, desto mehr kinetische Energie ist im Umlauf, die die Atome unruhig werden lässt. Von einem in sich abgestimmten Kondensat ist dann keine Spur mehr. Der Kälterekord konnte erst durch ein neues Stabilisierungsverfahren mithilfe einer speziellen Anordnung von Magneten erreicht werden.
100.000 Atome im freien Fall
Zunächst sorgte eine herkömmliche Methode mithilfe einer Magnetfalle für das Erkalten von rund 100.000 Rubidiumatomen, die dem freien Fall ausgesetzt wurden. Eine magnetische Linse sorgte dann für eine seitliche Einengung der Materiebausteine, die dadurch kinetische Energie verloren.
Der neue Forschungsansatz fügte diesem Kühlweg nun noch eine weitere Ebene hinzu. So wurde die Atomwolke während dem freien Fall zum Schwingen gebracht. Durch diese künstlich erzeugten Schwingungen erreichte die Materie einen Moment, an dem sie sich zu einem langen und extrem schmalen Kondensat verformte.
Zu genau diesem Zeitpunkt ließ sie sich mittels weiterer Magnete einfangen. Ein Zurückschwingen wurde schlichtweg verhindert, was zur Folge hatte, dass die kinetische Energie noch weiter absinken konnte und die Atome fast den absoluten Stillstand erreichten.
Tatsächlich bewegten sich die Materiebausteine sozusagen in extremer Zeitlupe. Die Temperatur sackte entsprechend auf 38 Pikokelvin ab, was nur 28 Billionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt liegt. Am Nullpunkt selbst bewegen sich Atome nicht länger und frieren im wahrsten Sinne des Wortes ein.
Kältester und langlebiger als jemals zuvor
Neben dem neuen Kälterekord wurde das Bose-Einstein-Kondensat in diesem Zustand plötzlich auch deutlich stabiler als jemals zuvor.
Bislang mussten Forscher im Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) schon nach wenigen Mikrosekunden mitansehen, wie das Kondensat seinen Zustand verlor. Nun überschritten die Physiker die Sekunden-Marke.
Das Wissenschaftsmagazin Scinexx zitiert Forschungsleiter Christian Deppner von der Leibniz-Universität Hannover: „Ohne unser Verfahren konnten Kondensate im Fallturm bis zu 160 Millisekunden nach Freisetzung abgebildet und nachgewiesen werden. Mit unserem System konnten wir diese Zeit bis auf zwei Sekunden ausdehnen.“
Der Schlüssel zur Dunklen Materie?
Schon jetzt handele es sich um das langsamste und kälteste Bose-Einstein-Kondensat der Welt. Allerdings deuten Simulationen am Computer darauf hin, dass die Atomwolke bis zu 17 Sekunden in Schwerelosigkeit bestehen könnte. Dies könnte unter anderem bei der Entwicklung neuartiger Quanten-Sensoren ein entscheidender Vorteil sein.
Auch die Fundamentalphysik würde durch das kalte und langlebige Kondensat ein wichtiges Werkzeug für weitreichende Tests erhalten. Kein Wunder, auf diese Art und Weise kann künstlich einer der kältesten Orte des Universums erzeugt werden. Forscher versprechen sich hierüber weitere Hinweise bezüglich Gravitationswellen, der Gravitationskonstante oder sogar Teilchen der Dunklen Materie.
Bild: Bose Einstein condensate/Wikimedia Commons