Die Virologen sind sich einig: einen vernünftigen Weg aus der Pandemie gibt es nur mit der Impfung. Wenn da die vielen Nebenwirkungen nicht wären. Gerade diese sollen laut einer neuen Studie von einem Team von Forschern um Julia Haas im Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) viele von dem schützenden Stich abhalten. Das sei nicht nur bei der Corona-Impfung der Fall, sondern allgemein bei präventiven Schutzimpfungen zu beobachten. Jedoch zeigen die Mediziner nun auf, dass die meisten Nebenwirkungen nur aufgrund von Placebo-ähnlichen Effekten, den sogenannten Nocebo-Effekten, verursacht werden. Demnach seien Ängste und Erwartungen für negative Wirkungen im Körper verantwortlich.
Nocebo-Effekt bereits bekannt
Den Forschern war schon vorab aus anderen Studien mit Medikamenten bekannt, dass Placebo-Gruppen, also solche Probanden, die Scheinpräparate von vermeintlichen Wirkstoffen erhielten, teilweise über heftige und eine Vielzahl an Nebenwirkungen klagten. Demnach war klar, dass durch den Nocebo-Effekt die eigentlich wirkungslosen Substanzen vom menschlichen Gehirn wie Fremdkörper verarbeitet werden, die es zu bekämpfen gilt.
Die neue Studie, die gestern im Fachmagazin JAMA Open Network erschien, untersuchte diesen Effekt nun näher für Impfungen. Bislang gab es hierzu kaum wissenschaftliche Annäherungen. „Die systematische Auswertung von Nocebo-Effekten bei Impfungen ist wichtig, besonders weil Sorgen rund um Nebenwirkungen viele bei der Impfung zögern lassen“, so Julia Haas in einer Mitteilung des BIDMC.
Um den Placebo-ähnlichen Effekt zu messen, wertete Haas gemeinsam mit ihrem Team Daten von über 45.000 Personen aus, die im Rahmen von 12 verschiedenen COVID-19-Impfstoffstudien erfasst wurden. Somit integrierten die Wissenschaftler sowohl mRNA-Vakzine wie etwa die Biontech-Impfung und auch vektor- und proteinbasierte Impfungen wie Johnson&Johnson. Dabei unterstrichen die Forscher, dass ihr Hauptaugenmerk auf allgemeinen Beschwerden lag, die oftmals nicht näher spezifiziert wurden. Hierzu reichte auch ein wahrgenommenes Unwohlsein aus. Seltene „echte“ Nebenwirkungen wie etwa Fälle von Myokarditis, einer Herzmuskelentzündung, blieben hingegen außen vor.
Drei-Viertel der Impfempfänger erleiden Nebenwirkungen durch Nocebo-Effekt
Das Ergebnis: mehr als 35,2 Prozent der Empfänger von Substanzen ohne Wirkstoff berichteten nach der ersten „Impfung“ von zumindest einer Nebenwirkung. Jeder Fünfte berichtete demnach von Kopfschmerzen, während rund 17 Prozent unter Erschöpfung litt. 16 Prozent nahmen eine lokale Nebenwirkung wahr, wie Schwellungen oder Schmerzen an der Einstichstelle. Auch Fieber oder Übelkeit traten bei den Probanden auf.
Das ist zumindest vergleichbar mit den Werten der Gruppe mit den echten Wirkstoffen. Hier klagten anschließend zwei Drittel der Probanden von lokalen Beeinträchtigungen. Fast die Hälfte fühlte sich generell unwohl. Auch hier wurden oftmals Kopfschmerzen oder Erschöpfung als Ursache benannt.
Mittels statistischen Berechnungen war es den Forschern möglich, zu analysieren, welchen Anteil der Nocebo-Effekt auf Nebenwirkungen im Allgemeinen einnimmt. So sollen über 76 Prozent der allgemeinen Beschwerden und ein Viertel der lokalen Nebenwirkungen nach der ersten Dosis hierauf zurückzuführen sein. Interessanterweise stellten die Wissenschaftler fest, dass sich diese Zahlen bei der zweiten Dosis bereits drastisch ändern. Nur noch 32 Prozent der Placebo-Gruppen gab an, allgemeine Nebenwirkungen verspürt zu haben. Lokale Schmerzen empfanden nur noch 12 Prozent.
Vakzin-Empfänger sollten vorab besser aufgeklärt werden
Die tatsächlich geimpften Personen berichteten hingehend vermehrt von Problemen. Hier lag der Anteil bei 61 und 73 Prozent. Für die Zweitimpfung errechneten die Mediziner so einen Nocebo-Effekt in rund der Hälfte der Fälle. Grund hierfür könnte eine stärkere Immun-Antwort des Körpers sein oder auch eine veränderte Erwartungshaltung gegenüber dem Vakzin.
Die Forscher erklärten in der Mitteilung, dass sie es für notwendig hielten, zu Impfende zukünftig über die Wahrscheinlichkeiten von Nocebo-Effekten aufzuklären. Dies könnte zu einer veränderten Erwartungshaltung führen, was wohl einen direkten Rückgang von Nebenwirkungen zur Folge hätte.
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