Von Edgar L. Gärtner
Am 10. Dezember titelte FOCUS online „Warum wir bald alle 130 Jahre alt werden“. Gegenstand des Artikels von Petra Apfel sind Fortschritte bei der Erforschung der Biologie des Alterns. Die dort bislang gewonnenen Erkenntnisse fußen allerdings bis jetzt fast ausschließlich auf Experimenten mit kleinen Killifischen und Mäusen. Doch einige Wissenschaftler haben bereits damit begonnen, einige der von ihren Forschungsergebnissen inspirierten Verjüngungs-Cocktails an sich selbst auszuprobieren.
Petra Apfel zitiert Juan Carlos Izpisua Belmonte vom kalifornischen Salk Institut in La Jolla, der mit Mäusen experimentierte: „Der erste Mensch, der 130 Jahre alt wird, ist heute schon geboren.“ Sebastian Grönke vom Max-Plack-Institut für die Biologie des Alterns, der ebenfalls mit Mäusen arbeitet, pflichtet ihm bei. Beide benutzen die vom japanischen Nobelpreis-Träger Shinya Yamanaka entwickelte Methode der Reprogrammierung von Zellen mithilfe körpereigener Proteine (Yamanaka-Faktoren), um die Entwicklungsuhr der Zellen zurückzustellen. Dabei besteht allerdings die Gefahr der Induzierung von Tumoren.
Das biologische Alter von Zellen und Organismen lässt sich mithilfe der vom deutsch-amerikanischen Bioinformatiker Steve Horvath an der University of California in Los Angeles entwickelten biologischen Uhr realistisch abschätzen. So wurde die Horvath-Uhr zum Standard-Werkzeug der Altersforschung.
Der aus Australien stammende und nun an der Havard-Universität forschende David Sinclair war einer der ersten, der lautstark verkündete, dass er selbst und seine Familie jeden Tag einen Wirkstoff-Cocktail schluckt, mit dessen Hilfe er 130 Jahre alt zu werden hofft. Dazu gehören das bekannte Diabetes-Medikament Metformin, Nikotinamid-Mononukleotid-Pulver, das Antioxidans Resveratrol und Vitamin D.
Im letzten Sommer präsentierte der Altersforscher Abrey de Grey auf dem Kongress der Life Extension Advocacy Foundation in New York die Ergebnisse eines Verjüngungs-Experiments an neun älteren Männern, das Sinclairs Diät-Vorschlag teilweise zu bestätigen scheint. Auch bei diesem Experiment spielte Metformin eine wichtige Rolle, daneben aber auch das Wachstumshormon Somatropin und die Hormon-Vorstufe DHEA. Der New Yorker Altersforscher Nir Barzilai bereitet eine klinische Studie mit 3.000 Probanden vor, um die verjüngende Wirkung von Metformin zu testen. Positive Nebenwirkungen der Einnahme von Metformin durch Diabetes-Patienten lassen hoffen.
Christine Lagarde, die neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) wird diese Nachrichten wohl nicht willkommen heißen. Denn kürzlich dachte sie laut darüber nach, ob es nicht besser sei, die durchschnittliche Lebenserwartung der Europäer zu senken. Denn der endlose Massenstreik gegen den Versuch einer Rentenreform in Frankreich zeigt, dass nicht nur die Eliten der Europäischen Union, sondern auch breite Bevölkerungsschichten angesichts der sich abzeichnenden Verlängerung der durchschnittlichen Lebensspanne in Richtung 100 Jahre ratlos sind.
Die linke Gewerkschaft CGT fordert in Frankreich nichts weniger als die Rückkehr zum Rentenbeginn mit 60 Jahren ohne finanzielle Abschläge. Umsetzbar wäre eine solche Forderung nur mithilfe eines noch stärkeren Wirtschaftswachstums als in China. Das aber erscheint angesichts der chronischen Wachstumsschwäche der meisten EU-Mitgliedsstaaten und der Nullzins-Politik der EZB illusorisch.
Vermutlich wird keines der aktuellen gesetzlichen Systeme der Altersversorgung den bereits fortgeschrittenen demografischen Wandel ohne eine deutliche Anhebung des Rentenalters schadlos überstehen.