In Deutschland gibt es mutmaßlich keine Orte mehr, die nicht durch Pestizide belastet sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie von TIEM Integrierte Umweltüberwachung, welche unter anderem vom Umweltinstituts München in Auftrag gegeben wurde. Demnach verbreiten sich die Pflanzenschutzmittel deutlich stärker, als bisher angenommen. Die Risiken für Gesundheit und Artenvielfalt seien unabsehbar, die Ergebnisse schockierend.
Die Messungen für die Pestizid-Studie wurden von März bis November 2019 gemacht. Hierbei handelte es sich um die bis dato aufwändigste Messung zur Ausbreitung von Pestiziden. Die Daten wurden auf unterschiedlichen Wegen erhoben: unter anderem mit neu entwickelten technischen Passivsammelgeräten, aus Filtermatten in Belüftungsanlagen und durch die Analyse von Bienenstöcken und Baumrinden.
An rund drei Viertel aller bundesweit untersuchten Standorte wurden mindestens fünf Pestizidwirkstoffe gefunden. Selbst in Nationalparks seien bis zu zwölf Pestizide nachweisbar gewesen. „Insgesamt fanden sich deutschlandweit 138 Stoffe, von denen 30 Prozent zum jeweiligen Messzeitpunkt nicht mehr oder noch nie zugelassen waren“, wie das Umweltinstitut sowie das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft mitteilten.
Hohe Mengen Glyphosat
Bei der Erhebung zeigte sich, dass das Pestizid Glyphosat in der Luft weiterverbreitet ist, als alle anderen der untersuchten Wirkstoffe. Glyphosat wird wiederum von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Der Wirkstoff sei in allen Regionen Deutschlands und „weit abseits von potenziellen Ursprungs-Äckern“ nachgewiesen worden. Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht einen dringenden Handlungsbedarf.
Noch gibt es in der Forschung rund um die gesundheitlichen Wirkungen der Pflanzenschutzmittel einen großen Handlungsbedarf. Über die Auswirkung der Aufnahme von Pestiziden über die Lunge lägen keine Daten vor, wie die Studienautoren äußern. Zudem gebe es keinerlei Informationen zu Kumulations- und Synergieeffekten, welche auftreten könnten, wenn mehr als ein Wirkstoff aufgenommen würde.
Dem Fazit der Erhebung zufolge gebe es in Deutschland wohl „kaum einen Ort“, an dem keine Pestizid-Wirkstoffe in der Luft gefunden werden könnten. Dies sei auch für die biologische Landwirtschaft ein Problem, da sich besagte Betriebe nicht vor Luftverunreinigungen schützen können.
Appell an Entscheidungsträger
Karl Bär, seines Zeichens Agrarexperte beim Umweltinstitut München, fordert ein Sofortverbot von 5 Pestiziden, die sich laut Studie am stärksten verbreiten. Auch Glyphosat gehört hierzu. Außerdem fordert er einen Ausstieg aus dem Einsatz chemisch- und synthetischer Pestizide bis zum Jahr 2035. Auch die Entschädigung von Biolandwirten sei notwendig, da diese künftig damit konfrontiert sein könnten, ihre Ernte aufgrund der bundesweiten Pflanzenschutzmittel-Durchdringung nicht mehr als „bio“ zu verkaufen.
Der Industrieverband Agrar reagiert unterdessen mit heftiger Kritik. Der Verband vertritt 35 deutsche Pestizidhersteller. Die Erhebung sei „alarmistisch und wissenschaftlich nicht valide“. Ihrer Argumentation zufolge seien die Funde selten. Zudem seien die geringen nachgewiesenen Mengen für Mensch und Umwelt unbedenklich – vielmehr werde ein Thema „künstlich aufgebauscht“, so die Worte der Kritiker.
Insbesondere der Glyphosat-Einsatz sorgt nach wie vor für weitreichende Kontroversen. Die EU-Kommission hatte die Genehmigung zuletzt bis Ende 2022 erneuert.