Weniger Atherosklerose, wenn GPRC5B fehlt. Bild: MPI für Herz- und Lungenforschung
Blutgefäße sind nicht mit der passiven Rolle von Wasserleitungen vergleichbar. Vielmehr sind sie höchst aktiv. Denn ihre Wände tauschen mit dem transportierten Blut und mit benachbarten Zellen mithilfe von Signalmolekülen und Rezeptoren ständig Information aus und beeinflussen die Kontraktion glatter Muskelzellen. Seit längerem ist bekannt, dass so genannte G-Proteine oder GTPasen, die in der Lage sind, die Guanin-Nukleotide GDP und GTP zu binden, sowie damit verbundene Rezeptoren eine zentrale Rolle bei der Blutdruck-Regulierung durch glatte Muskelzellen spielen. Denn darauf beruht die Wirkung des bekannten Life-Style-Medikaments Sildenafil (bekannt unter dem Marken-Namen „Viagra“). Nach wie vor gibt es aber etwa 100 Mitglieder dieser insgesamt etwa 800 Mitglieder umfassenden Rezeptoren-Familie, deren Funktion nicht bekannt ist. Ein Forscher-Team der Arbeitsgruppe von Nina Wettschureck in der Abteilung Pharmakologie des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim (Hessen) hat sich nun den Rezeptor GPRC5B vorgenommen.
„Auf den Rezeptor aufmerksam geworden sind wir durch Daten aus einer Genexpressionsanalyse. Diese zeigten, dass GPRC5B in glatten Gefäßmuskelzellen blutdruckregulierender Arterien verstärkt vorkommt“, erklärt Nina Wettschureck. Um experimentell zu klären, wie der genannte Rezeptor arbeitet, schalteten ihn die Forscher mithilfe eines gentechnischen Eingriffs bei Labormäusen aus. „Im ersten Schritt stellten wir fest, dass diese Mäuse vor arteriellem Hochdruck geschützt sind“, sagte Jorge Carvalho, Erstautor der Studie. „Im zweiten Schritt fanden wir, dass die Gefäße dieser Tiere verstärkt auf Prostazyklin reagieren, eine Substanz, die zu einer Entspannung der glatten Muskelzellen und damit zu einer Erweiterung der Blutgefäße führt“.
Durch weitere Versuche an Mäusen und kultivierten Zellen gingen die Bad Nauheimer Wissenschaftler dem Mechanismus dieser Reaktion weiter auf den Grund: „Wir stellten fest, dass GPRC5B den Transport des Prostazyklin-Rezeptors zur Zelloberfläche behindert. Die Konsequenz: Tiere ohne GPRC5B haben mehr Prostazyklin-Rezeptoren auf der Oberfläche ihrer Glattmuskelzellen. Dieses schützt sie vor der Entstehung von Bluthochdruck zumindest teilweise“, sagt Carvalho. Im Experiment ließ sich dieser Schutz durch eine Blockade des Prostazyklin-Rezeptors wieder aufheben.
Die Forscher entdeckten zudem, dass GPRC5B auch bei der Entstehung der Atherosklerose eine Rolle spielt: „Es war bereits bekannt, dass Prostazyklin bei der Dedifferenzierung glatter Muskelzellen als einem der ersten Schritte bei der Entstehung der Atherosklerose eine Rolle spielt. In den Mäusen, in denen GPRC5B abgeschaltet war, stellten wir tatsächlich eine geringere Atheroskleroseneigung fest. Die glatten Muskelzellen blieben in einem differenzierten Zustand“, erklärt Jorge Carvalho.
Durch die Aufklärung der Funktion des GPRC5B-Rezeptors steht nun ein neuer Anknüpfpunkt für die Behandlung von Bluthochdruck und Atherosklerose zur Verfügung. „Das Problem hierbei ist zurzeit allerdings, dass kein Hemmstoff für GPRC5B bekannt ist. Wir kennen auch noch keine Substanz, die die Verbindung zwischen GPRC5B und dem Prostazyklin-Rezeptor unterbinden würde. Diese Verbindung wäre ein zweiter Anknüpfungspunkt für eine Therapie“, erklärt Nina Wettschureck. Deshalb planen die Bad Nauheimer Forscher nun, gezielt nach Substanzen zu suchen, die in die Aktivität des Rezeptors GPRC5B eingreifen. Ob und wann das zur Entwicklung neuer Arznei-Wirkstoffe und/oder Therapien führen wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen.
Carvalho J, Chennupati R, Li R, Günther S, Kaur H, Zhao W, Tonack S, Kurz M, Mößlein N, Bünemann M, Offermanns S, Wettschureck N: Orphan G-Protein-Coupled Receptor GPRC5B Controls Smooth Muscle Contractility and Differentiation by Inhibiting Prostacyclin Receptor Signaling. Circulation 2020; doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.119.043703