Vögel sind bis auf wenige Ausnahmen nicht in der Lage, Süße zu schmecken. Das entspricht zumindest dem bisherigen Wissensstand über die Tiere. Nur der Kolibri und einige wenige Singvögel können durch Nahrung einen süßen Geschmack wahrnehmen. Bislang ging man davon aus, dass der Specht diese Fähigkeit nicht besitzt. Doch Julia Cramer vom Max-Plank-Institut für Ornithologie konnte mit ihrem Team beweisen, dass dem nicht so ist. So haben sich die Ernährungsbedürfnisse und Geschmackswahrnehmungen einiger Tiere laut den Wissenschaftlern in der Vergangenheit mehrfach verändert.
Vögel mit Vorliebe für Süßes
Cramer führte mit ihrem Team Verhaltenstests an Wildvögeln durch, mit denen sie belegte, dass Spechte Zucker und Aminosäuren gegenüber Wasser bevorzugt zu sich nehmen. Wendehälse zeigten bei den Tests eine Vorliebe zu Aminosäuren.
Bei den Tests wurden den Vögeln drei verschiedene Gefäße mit Flüssigkeiten zur Verfügung gestellt. Ein Gefäß war mit Zuckerwasser befüllt, eines mit flüssigen Aminosäuren und ein weiteres mit Wasser. Anhand der Menge, die die Tiere von den auszuwählenden Flüssigkeiten tranken, konnten die Vorlieben gut beobachtet werden.
Spechte ernähren sich in der Regel von Insekten, doch einige Arten suchen auch Säfte, Früchte oder Nektar in der Natur auf. Die Untersuchungen zeigten, dass die Vögel unterschiedliche Präferenzen haben, deshalb entschied sich das Team weitere Analysen durchzuführen, die klären sollten, ob diese Vorzüge aus den Rezeptoren der Vögel stammen.
Der Geschmack ist abhängig von den Vorfahren der Tiere
Die erweiterten Untersuchungen der Geschmacksrezeptoren bestätigten den Verdacht der Biologen. So zeigten die Ergebnisse eindeutig, dass die Rezeptoren von Spechten empfindlich auf Zucker reagieren, die von Wendehälsen jedoch nicht.
Dabei ist wichtig zu wissen, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden ebenfalls auf Zucker reagierende Geschmacksrezeptoren aufwies. In ihren im Magazin Current Biology veröffentlichten Ergebnissen schreibt das Team:
„Unser Befund enthüllt einen dritten Fall bei Vögeln, bei dem sich unabhängig voneinander der Sinn für Süßes wieder entwickelt hat. Noch spannender war jedoch die Tatsache, dass Wendehälse die neue Funktion des Rezeptors später wieder verloren haben.“
Die Rezeptoren, die sich empfindlich gegenüber Zucker zeigten, besaßen nur eine einzige Aminosäure, die verändert war. Sie schaltet die Zuckerwahrnehmung selektiv aus. Die Fähigkeit, den süßen Geschmack von Zucker und Aminosäuren zu schmecken, blieb jedoch bestehen.
Die Studie offenbart, dass sich die Mechanismen der Umkehrung in den Sensoren der Tiere an die individuellen Ernährungsbedürfnisse anpasst. Denn sowohl Spechte als auch Wendehälse benötigen eigentlich proteinreiche Nahrung wie Insekten.
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