
Letzte Woche endete die Einsendefrist für Änderungsvorschläge zum Nutri-Score, einem in Frankreich entwickelten Lebensmittelkennzeichen, dass Verbraucher zum Kauf von gesünderen Lebensmitteln anregen soll. Durch die öffentliche Initiative für Veränderungsvorschläge sollen diverse Kritikpunkte des Systems geklärt werden – allem voran der von Nutri-Score verwendete Algorithmus zur Berechnung der Nahrhaftigkeit eines Produkts.
Die Tatsache, dass es diese Initiative überhaupt gibt, macht klar, dass der Nutri-Score bei weitem nicht die Akzeptanz der Verbraucher genießt, wie von der Politik oft behauptet wird. Wenig überraschend also, dass von der Initiative für Änderungsvorschläge so gut wie nichts in den deutschen Medien zu hören war.
Ein Label, viele Fallen
Nichtsdestotrotz gibt es viel Kritik, was den wahren Nutzen des Algorithmus speziell und des Lebensmittelkennzeichens generell angeht und das sogar von vielen Verbraucherschutzorganisationen. So warnte zum Beispiel die Stiftung Warentest, dass bestimmte Pflanzenstoffe, Vitamine und Omega-3-Fettsäuren bei der Nutri-Score-Berechnung nicht berücksichtigt werden.
Außerdem sei es nicht ersichtlich, wie eine Bewertung zustande kommt, was andere Probleme mit sich bringt. So kommt es vor, dass ein mit Nutri-Score A bewertetes Produkt trotzdem einen hohen Zucker -und Kalorienanteil aufweist, obwohl das Kennzeichen genau solche Fallen verhindern soll.
Solche verzerrenden Bewertungen kommen auch durch die Manipulationen der Lebensmittellobby zustande, welche den Score so verändert, dass ungesunde Produkte gesünder erscheinen. Schon im Sommer 2020, nur wenige Monate vor der Nutri-Score-Einführung in Deutschland, warnte Foodwatch vor den Machenschaften der Lebensmittelkonzerne, durch die sogar einige zuckerhaltige Getränke grünes Licht für „gute Ernährungsqualität“ erhalten würden.
In der Tat scheint das Label die größte Gefahr für die Ernährungsqualität deutscher Verbraucher darzustellen. Es fängt damit an, dass die Einteilung von Nahrungsmitteln in ein Ampel-System mangels wissenschaftlicher Grundlage absolut willkürlich ist. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop zufolge, basiert eine solche Einteilung „nicht auf (Kausal)Evidenz, sondern auf der Freigeistigkeit findiger Forscher, die sie al Gusto eminenzbasiert festgelegt haben. Allerdings gibt es keinen Beleg dafür, dass irgendein roter Punkt tatsächlich eine Gesundheitsgefahr darstellt.“
Auf Kosten der Umwelt und Verbraucher
Ähnlich sieht es Professor Philippe Legrand, Direktor des Labors für Biochemie und menschliche Ernährung im Institut Agrocampus-INSERM in Rennes: beim Nutri-Score handele es sich „um nicht mehr und nicht weniger als eine Meinung oder ein Urteil. Somit ist es in Bezug auf wissenschaftliche Angaben eher schwach.“
Des Weiteren, warnt Knop, werden Lebensmittelkonzerne kaum viele rot bewerteten Produkte auf den Markt bringen. Dies fördert nicht nur Manipulationen des Nutri-Score, sondern führt auch zu größerem Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln. Denn weil Nutri-Score nicht zwischen dem Grad der Verarbeitung eines Lebensmittels unterscheidet, schneiden auch hochverarbeitete Produkte, wie oben bereits erwähnt, gut ab. „Um gelbe und grüne Punkte zu bekommen, wird man wichtige, hochwertige Nährstoffe aus den Rezepturen entfernen und dafür mit Füllstoffen ersetzen, die das Produkt so aussehen lassen wie vorher.“
In letzter Konsequenz bedeutet dies nicht nur schlechtere Lebensmittel, sondern auch eine höhere Umweltbelastung – eine denkbar schlechte Bilanz zu einer Zeit, da die Rufe nach nachhaltigen Ernährungsweisen immer lauter werden. So zeigt eine im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences im Jahr 2019 veröffentlichte Studie, dass eine Ernährung aus „Vollkorngetreide, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und einige Pflanzenöle mit einem hohem Gehalt an ungesättigten Fettsäuren“ – sprich, sehr naturbelassenes Essen – nebst besserer Gesundheit auch geringere Umweltauswirkungen haben.
Dies ist wenig überraschend, denn Lebensmittelkonsum, inklusive Verarbeitung und Transport, macht etwas 13 Prozent von Deutschlands CO2-Austoss aus. Und da ist Nutri-Score wenig hilfreich. Beispiel paniertes Hähnchen: laut Nutri-Score wird dieses Produkt mit einem auffällig positiven B-Score bewertet. Gleichzeitig vergibt das Nova-Label – es bewertet den Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels von 1 bis 4 – eine satte 4, wobei der Eco-Score mit einem E das Hähnchen als extrem umweltbelastend bewertet.
Ähnlich sieht es beim Chili con carne aus: ein B-Score, begleitet von einem miserablen Nova (4) und Eco-Score (E). Dennoch bleibt beim Verbraucher die Tatsache hängen, dass der Nutri-Score diesem umweltschädlichen Produkt quasi eine Verzehrsempfehlung ausspricht. Somit steht es schlecht für die lang angestrebte nachhaltige Ernährung in Deutschland – und um die Qualität für Verbraucher.
Bild: Brunna Peretti/Flickr