Obwohl sich die Genetik in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt hat, sind bis heute nur circa 0,2 Prozent aller Lebewesen mit echtem Zellkern genetisch erfasst. Ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern möchte dies nun ändern. Sie veröffentlichten kürzlich ihre Pläne, mit dem Projekt Earth BioGenome die Erbanlagen aller eukaryotischen Lebewesen zu sequenzieren.
Earth BioGenome will 1,5 Millionen Lebewesen sequenzieren
Die Genetik eröffnet uns Einblicke in die Struktur und Bauweise von Lebewesen. Sie ist eine Art Informatik lebendender Dinge, deren Erkenntnisse in der Forschung eine große Bedeutung haben. Das Interesse gilt vor allem den Eukaryoten, zu denen alle Lebewesen gehören, deren Zellen einen Kern haben, in denen ihre DNA enthalten ist. Das unterscheidet sie von Bakterien, den sogenannten Prokaryoten. Zu den 1,5 Millionen bekannten Eukaryoten gehören der Mensch, die Tierwelt, alle Pflanzen und Pilze.
Jetzt möchte eine interdisziplinäre Expertengruppe aus 24 Wissenschaftlern mit ihrem ehrgeizigen Projekt Earth BioGenome helfen, die Entstehung, Organisation und Evolution von Leben besser nachvollziehen zu können. Die veranschlagten Kosten belaufen sich bei einer Laufzeit von zehn Jahren auf rund 4,7 Milliarden US-Dollar. Laut der Forscher lohnt sich die Investition in das Projekt aber. Denn die Ergebnisse sollen als freie Ressource der Forschung zur Verfügung gestellt werden und könnten vor allem für die Bereiche Genomik, Medizin, Naturschutz, Landwirtschaft und Technik wichtige Informationen liefern.
Lukrative Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft erhofft
Bereits das Humangenomprojekt, welches von 1990 bis 2003 das komplette menschliche Genom sequenzierte, kostete knapp drei Milliarden US-Dollar. Die Erkenntnisse revolutionierten nicht nur den Bereich der Humanmedizin, sondern bildeten die Basis für Innovationen in vielen anderen Forschungsbereichen und trieb auch die Technologieentwicklung maßgeblich voran. Laut dem Battelle Memorial Institute profitierte die amerikanische Wirtschaft bereits bis 2013 mit fast einer Billion US-Dollar von der Sequenzierung. Mit einer solchen Prognose rechnen die Wissenschaftler auch bei dem Earth BioGenome Projekt und rechtfertigen damit die hohen Investitionskosten.
Die enormen Fortschritte in der Genomsequenzierung und Datenspeicherung machen das Mega-Projekt Earth BioGenome überhaupt erst möglich. Nicht nur die Kosten, sondern auch der Zeitaufwand für das Aufschlüsseln von DNA-Sequenzen sind viel geringer, als noch vor wenigen Jahren. Dank der rasanten Entwicklungen im Bereich der Rechenkapazität, Datenspeicherung und Bioinformatik ist es jetzt möglich, die voraussichtlich eine Milliarde Gigabyte an Genomdaten zu verarbeiten und zu speichern.
Mega-Sequenzierung erfordert internationale Zusammenarbeit
„Das Earth BioGenome Projekt wird uns Einblicke in die Geschichte und Vielfalt des Lebens geben und uns helfen, besser zu verstehen, wie wir es erhalten können“, erklärt Co-Autor Gene Robinson von der University of Illinois die Möglichkeiten des Projekts. So erhoffen sich die Wissenschaftler wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen aus dem Projekt ziehen zu können. Besonders die Entwicklung neuer Medikamente, biologischer Kraftstoffe und Nahrungsquellen könnte durch die Sequenzierung massiv beschleunigt werden.
Um das Ganze auch praktisch umzusetzen braucht es eine gut organisierte internationale Zusammenarbeit und die Beteiligung von Universitäten, Forschungsinstitutionen und Regierungen, betonen die Forscher in ihrer Veröffentlichung. Aber auch Laien können nach dem Prinzip der Citizen Science Informationen und Proben einreichen. Robinson ist überzeugt: „Aus dem Earth BioGenome Project könnte eine komplette digitale Bibliothek des Lebens entstehen, die zukünftigen Generationen viele Entdeckungen ermöglicht.“