Die menschliche Gehirntemperatur ist höher und schwankt stärker als bisher angenommen. Dies hat eine neue Studie ergeben, die von einem Forscherteam der Universität Cambridge und der Universität Edinburgh durchgeführt wurde. Die tägliche Rhythmik der Hirntemperatur erweist sich demnach als einer der stärksten einzelnen Prädiktoren für das Überleben nach einer Hirnverletzung.
Normale Temperatur im menschlichen Gehirn kaum bestimmbar
Wie jeder Mediziner weiß, ist ein gesundes Gehirn entscheidend für das allgemeine Wohlbefinden. Als Kontrollzentrum des Körpers reguliert das Organ eine Vielzahl von Funktionen, von der Herzfrequenz bis zur Stimmung. Dieses empfindliche Gleichgewicht kann durch eine Reihe von Faktoren, einschließlich Temperaturschwankungen, leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Aus diesem Grund werden Patienten, die sich einer Gehirnoperation oder anderen Eingriffen unterziehen, oft bei einer „normalen“ Körpertemperatur von 37 Grad Celsius gehalten. Aber was ist normal, wenn es um die Gehirntemperatur geht?
Die neue Studie, die in der Zeitschrift Brain veröffentlicht wurde, versucht, diese Frage zu beantworten. Anhand von Daten gesunder Erwachsener fanden die Forscher heraus, dass die Gehirntemperatur im Laufe des Tages und sogar von einer Region zur anderen erheblich schwankt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keine normale Gehirntemperatur für den Menschen gibt. Stattdessen kann die ideale Temperatur in Abhängigkeit von individuellen Faktoren variieren.
Temperaturen bis fast 41 Grad Celsius
„Für mich ist das überraschendste Ergebnis unserer Studie, dass das gesunde menschliche Gehirn Temperaturen erreichen kann, die anderswo im Körper als Fieber diagnostiziert werden würden“, zitiert das Wissensmagazin Geo Studienautor John O’Neill. „Solch hohe Temperaturen wurden in der Vergangenheit bei Menschen mit Hirnverletzungen gemessen, aber es wurde angenommen, dass sie von der Verletzung herrühren“. Tatsächlich lag die höchste gemessene Temperatur bei 40,9 Grad Celsius im Thalamus.
Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher die Daten aller Patienten der Collaborative European NeuroTrauma Effectiveness Research der Traumatic Brain Injury (CENTER-TBI) High Resolution Intensive Care Unit. „Es wurden nur Patienten mit direkter Hirntemperaturmessung und ohne gezieltes Temperaturmanagement aufgenommen“, schreiben die Forscher in der Publikation. Die Wissenschaftler verwendeten dabei eine neuartige Technik der Magnetresonanztomographie (MRT), um die Hirntemperatur bei gesunden Erwachsenen im Verlauf von 24 Stunden zu messen.
„Zur Auswertung der Patientenanalysen rekrutierten wir prospektiv 40 gesunde Erwachsene (20 Männer, 20 Frauen, 20–40 Jahre) für die Hirntemperaturmessung mittels Magnetresonanzspektroskopie. Die Teilnehmer wurden am Morgen, am Nachmittag und am späten Abend eines Tages gescannt“, so die Forscher weiter. Sie fanden heraus, dass die Hirntemperatur am frühen Nachmittag am höchsten und am frühen Morgen am niedrigsten war, mit einer täglichen Schwankung von etwa 0,5 Grad Celsius. Zudem stellten die Hirnforscher fest, dass die Hirntemperatur je nach Alter, Geschlecht, Menstruationszyklus, Hirnregion und Tageszeit erheblich variierte.
Auswirkungen auf zukünftige Behandlungen
Die Biologen kommen zu dem Schluss, dass die tägliche rhythmische Variation der Hirntemperatur – und nicht die absolute Hirntemperatur – eine Möglichkeit ist, die Physiologie des menschlichen Gehirns von der Pathophysiologie zu unterscheiden. Dies hat wichtige Auswirkungen auf die Überwachung der Körpertemperatur im klinischen Bereich sowie auf unser Verständnis darüber, wie sich das menschliche Gehirn an Veränderungen der Außentemperatur anpasst.
Die Studie dürfte wichtige Auswirkungen für Patienten, die sich Eingriffen zur Regulierung der Hirntemperatur unterziehen, mit sich bringen. Während frühere Studien sich darauf konzentrierten, eine bestimmte Zieltemperatur zu erreichen, legt diese neue Forschung nahe, dass ein individuellerer Ansatz notwendig sein könnte. Durch weitere Forschung könnten Ärzte eines Tages in der Lage sein, die Behandlungspläne auf die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten abzustimmen, was zu besseren Ergebnissen und einer höheren Lebensqualität führen würde.